Mitten im Advent:Parallelwelt Christkindlmarkt

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Wunderbar harmonisch ist die Weihnachtszeit, wenn man über den Christkindlmarkt schlendert. Schlagartig ändert sich die Stimmung danach beim Einkaufen im Supermarkt

Kolumne von Felix Wendler

Besinnlichkeit ist wahrscheinlich der größte Mythos der Adventszeit. Auch die mantraartige Beschallung mit Weihnachtsliedern ändert nichts daran, dass die Vorweihnachtszeit vor allem eines ist: hektisch. Zusätzlich zu den alltäglichen Pflichten und Lasten plagt der Mensch sich jetzt auch noch mit diversen Besorgungen, Weihnachtsfeiern und Planungen für das gesegnete Fest herum. Die Leute hetzen durch die Gegend, um die zusätzlichen Aufgaben in den viel zu engen Zeitplan zu pressen.

Eine charakteristische Situation in einem Karlsfelder Einkaufsmarkt: Ein Geschäftsmann wartet an der Kasse und erklärt seinem Gesprächspartner am Telefon, hörbar genervt, die Budgetplanungen für die Betriebsweihnachtsfeier. Währenddessen lädt eine Dame mittleren Alters zentnerweise Weihnachtsnaschereien auf das Band und brüllt parallel dazu ihren quengelnden Nachwuchs an. Wunderbar harmonisch, diese Vorweihnachtszeit!

Glücklicherweise gibt es seit jeher eine Bastion der Entschleunigung, die uneinnehmbar zu sein scheint. Die Rede ist vom Christkindlmarkt. Ob in Dachau oder anderswo: Es scheint, als existiere ein unsichtbares Schild, das mit einem Tempolimit den eiligen Schritt der Massen urplötzlich abbremst. Auf dem Christkindlmarkt ist Schlendern tatsächlich noch mehr als eine überholte Worthülse. Vielleicht sind es die überschaubaren Wege? Vielleicht macht einen der Glühwein langsam? Die Atmosphäre zeichnet sich jedenfalls nicht allein durch die Gerüche und Lichter aus. Nein, der Christkindlmarkt ist eine Parallelwelt. Dies wird jedem deutlich, der den letzten Schluck Glühwein leert und sich wieder in Richtung Ausgang bewegt. Dann nämlich holt einen die Vorweihnachtszeit schlagartig in die Realität zurück. Plötzlich ist sie wieder da, die Budgetplanung oder der Wocheneinkauf. So eilt man davon, im Rücken die leiser werdenden Weihnachtslieder, um sich in einem Supermarkt anbrüllen zu lassen. Ganz besinnlich natürlich.

© SZ vom 14.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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