Medienterminals an der KZ-Gedenkstätte:Im Wandel der Zeit

An zwei Medienterminals können Besucher der KZ-Gedenkstätte nun selbst die wechselhafte Geschichte und Topografie des Lagers recherchieren. Drei Jahre lang haben die Mitarbeiter an dem Projekt gearbeitet

Von Christiane Bracht, Dachau

Wie sah das KZ-Gelände in Dachau 1945 aus? Warum ist heute nur noch so wenig davon übrig? Und warum ist die Stadt so dicht an die Gedenkstätte herangewachsen? Letzteres irritiert vor allem die amerikanischen Besucher, weiß die pädagogische Leiterin Waltraud Burger. Immer wieder wird sie mit Fragen dieser Art konfrontiert. Bei der Neukonzeption der Dauerausstellung vor etwa 14 Jahren hat man den Aspekt, wie sich dieser Ort des Schreckens im Laufe der Zeit gewandelt hat, ausgeklammert. Nur eine Glastafel mit Plänen von damals zeigt, wie die originale Raumaufteilung einmal war. Sie hat aber eher dokumentarischen Charakter und geht bei den Massen an Besuchern, die jeden Tag in die Gedenkstätte strömen, unter. Deshalb hat Burger sich vorgenommen, genauer nachzuforschen. Die Beamer-Präsentation im Besucherzentrum liefert seit Herbst 2012 nun einige Antworten.

Neue Infoterminals

Damit man Ereignisse oder Veränderungen einordnen kann, gibt es im neuen Medienterminal eine Zeitleiste mit Bildern und Daten.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Doch sie wollte mehr zeigen, das ehemalige Konzentrationslager anschaulicher machen. Deshalb gibt es jetzt zwei große Medienterminals in der früheren Häftlingsküche, in der das große Modell des Geländes steht, das nach dem Luftbild vom April 1945 angefertigt wurde. Nun gibt es Informationen zu etwa 150 Gebäuden in dem interaktiven Auftritt der Bildungseinrichtung. So kann man zum Beispiel nachschauen, was "Jourhaus" bedeutet oder wo der sogenannte Kräutergarten des Lagers war, auch dass es einmal einen Theodor-Eicke-Platz gegeben hat, welche Bedeutung er hatte und wie sich das Gelände dort verändert hat. Neben historischen Fotos und kleinen Textfeldern, die aufploppen, wenn man die einzelnen Gebäude im Lageplan anklickt, ist aber der direkte Vergleich möglich zwischen der Bebauung, als das Gelände noch zur Königlich Bayerischen Pulver- und Munitionsfabrik gehörte, mit der, als es Konzentrationslager war oder als die US-Armee dort ihr Quartier hatte.

Neue Infoterminals

Bei der Präsentation der neuen Medienterminals waren unter den interessierten Zuhörern auch Oberbürgermeister Florian Hartmann (links) und Zeitzeugen Abba Naor.

(Foto: Niels Jørgensen)

Mit einfacher Wischtechnik, kann man die Pläne sogar übereinander legen, auch nur zum Teil, wenn man will, um zu entdecken, wie sich das geschichtsträchtige Areal im Laufe der Zeit verändert hat. Auf diese Weise wird dem Besucher mit simplen Mitteln veranschaulicht, wie das Gelände, je nachdem wer es nutzte, immer wieder neu "überformt" wurde. Das heißt, welche Gebäude umgenutzt oder abgerissen wurde und was neu dazu gebaut wurde. In dem Terminal wird die Zeit zwischen 1916 bis heute beleuchtet. Wer die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der Vergangenheit nicht im Kopf hat, kann auf einer Zeitleiste nachsehen, was etwa 1938 los war oder wann auch immer gerade wichtige Dinge geschahen, um die Veränderungen in Dachau besser einordnen zu können. Auf diese Weise können sich die Besucher intensiv mit der Geschichte beschäftigen und "es verfestigt sich auch ganz anders im Kopf", als wenn einfach nur ein Film abgespielt wird, noch dazu ohne Ton, sagt Burger. Die Historikerin ist begeistert von den Möglichkeiten, die die neue Technik bietet. Und der Erfolg gibt ihr recht: Gleich am ersten Tag sind die beiden Medienterminals von den Besuchern umringt. Jeder will mal klicken und wischen und Näheres erfahren.

Neue Infoterminals

Frank Abele hat die neue Informationstechnik eingerichtet und gestaltet.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Im Zuge des Projekts forschte das Gedenkstätten-Team in den vergangenen drei Jahren intensiv an neuen Erkenntnissen. Ihre Ergebnisse sind in die Terminals eingeflossen. Die Historiker zeigten einige Beispiele für den Wandel der Zeit, die bislang den meisten nicht so bekannt waren.

Theodor-Eicke-Platz

Heute ist von dem weitläufigen, begrünten Platz, der nach dem zweiten Lagerkommandanten des KZ benannt ist, praktisch nichts mehr übrig. Um ihn herum standen repräsentative Wohnhäuser von SS-Angehörigen und ihren Familien. Es gab Geschäfte, eine Gastwirtschaft und eine Poststelle, alles außerhalb des ummauerten KZ-Bereichs, gut angebunden an die Stadt mit einer Buslinie und ausgebauten Straßen. Durch die Heirat mit Einheimischen gab es auch immer mehr private Verflechtungen. 1946 wurde der Platz in "Kreuz-Platz" umbenannt. Die Amerikaner bezogen die Häuser. Sie richteten ein Kino und eine Bühne in dem früheren Gemeinschaftshaus der Pulverfabrik ein. Anfang der 1980er Jahre wurde es jedoch abgerissen. Seit 2009 steht dort das Besucherzentrum der Gedenkstätte. Auf dem ehemaligen Eicke-Platz ist heute die Straßenmeisterei, einige Wohnhäuser, sowie ein Kindergarten und ein Sportplatz.

Kräutergarten

Der "Kräutergarten" liegt weit außerhalb des heutigen Gedenkstättengeländes. Tatsächlich war er eine große Plantage mit Gewächshäusern, in dem Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, nicht nur, um sie seelisch und körperlich zu quälen, sondern auch um einen wirtschaftlichen Mehrwert zu haben, so Michael Störk, der im Team mitgearbeitet hat. Die SS erschwerte ihnen die Arbeit offenbar noch und misshandelte sie. Die Folge: Vernichtung durch Arbeit. Zeitzeugenberichte, die im Terminal angeklickt werden können, berichten von der Kolonne der Entkräfteten, die allabendlich mit Schubkarren, in denen die Toten lagen, heimkehrten. In der Plantage wurde Gemüse unter anthroposophischen Gesichtspunkten angepflanzt, um langfristig die Lebensmittelversorgung im Reich sicherzustellen. Die Zivilbevölkerung kaufte auch dort ein. Hier gab es Kontaktmöglichkeiten zu den Häftlingen und einen heimlichen Austausch von Nachrichten und Lebensmitteln. Reste von Gewächshäusern, das Verwaltungs- und das Forschungsgebäude stehen noch. Dort sind heute teils Sozialwohnungen eingerichtet. Auf der ehemaligen Freifläche ist das Gewerbegebiet Dachau-Ost entstanden.

Bienenhaus

Sehr erstaunt zeigten sich die etwa 50 Zuhörer über das Bienenhaus, das einst ebenfalls zum KZ gehörte. Es steht noch heute, ganz versteckt, mitten im Gewerbegebiet umringt von Bäumen. Es sieht idyllisch aus, scheint aber nicht recht dort hineinzupassen. Gedenkstättenmitarbeiter Ulrich Unselt hat noch alte Etiketten von Honiggläsern gefunden. Rund 75 000 Euro hat die Gedenkstätte in die neuen Terminals investiert. Die Inhalte sollen immer wieder aktualisiert werden und in absehbarer Zeit teilweise online abrufbar sein.

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