Kunstausstellung:Die dritte Haut

Im Rahmen der KVD-Ausstellung geht die Ethnologin, Soziologin und Professorin für Pflegewissenschaft Charlotte Uzarewicz am Sonntag auf ihrer Lesung der gar nicht so einfachen Frage nach, was ein echtes Zuhause ausmacht

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Ungewohnt heimelig wirkt das Foyer des Dachauer Schlosses. Ein Vorhang aus dicken Schaumstoffstreifen der Künstlerin Louisa Abdelkader verdeckt die breite Steintreppe, die hinauf in den Renaissancesaal führt. In der Ecke neben der Treppe befindet sich das Objekt "Nana", ebenfalls aus Schaumstoff. Es sieht aus wie eine der Länge nach durchgeschnittene, aufgeklappte Ananas und erinnert an ein Häuschen, an eine rosafarbene Höhle, in die man sich verkriechen möchte. Abgetrennt wird das Foyer von Kristin Brunners raumhoher Installation aus Hochhausfassaden, gedruckt auf Kunststoffplanen. Im Zusammenwirken mit dem Vorhang verkleinert diese imaginäre Fassade die große Halle auf ein Normalmaß. Es ist paradox: Die Bilder von stereotypen Plattenbauten verwandeln das Foyer in einen geschützten Raum und der Vorhang, der in seiner Machart an einen Holzperlenvorhang im Campingwagen erinnert, wirkt wie ein Tor zu einer anderen Welt.

Hat der Besucher diese Schwelle überschritten, so komplettiert auf dem Treppenabsatz ein schwarzes Kostüm das Ananas-Häuschen. Seine Form ist dem Strunk der exotischen Frucht nachempfunden. Die skulpturalen Arbeiten der beiden jungen Künstlerinnen sind der gelungene Auftakt der KVD-Jahresausstellung "Trautes Heim". Man würde am liebsten fortfahren: " . . . Glück allein", denn auf Kristin Brunners fotorealistische Plattenbausiedlung trifft dieser spießige Zusatz sogar zu. Der Sinnspruch bringt den Rückzug auf das eigene Heim gegenüber der oft als bedrohlich empfundenen Außenwelt zum Ausdruck. Und so ist es auch in den gesichtslosen Wohnbatterien aus Beton. Deutlich sind an den Balkonen und Fenstern die Bemühungen ihrer Bewohner zu erkennen, ihrem standardisierten Lebensraum ein unverwechselbares Gesicht zu geben und sich eine persönliche Heimat zu schaffen. Die Künstlerin erläutert: "Hinter den eintönigen Fassaden moderner Großstädte verbirgt sich eine noch immer kulturell und individuell geprägte Vielfalt, die über die Balkone nach außen drängt."

Schloßausstellung

Gideon Gomos Werk.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Heimat ist der Ort von Identität, Schutz und Geborgenheit. Heimat ist aber auch Herkunft und kann bedrückend und eng sein. Heimat findet im Kopf statt. Der eine gestaltet sich seine Heimat und stößt dabei an die Grenzen des anderen. Wie unterschiedlich die 28 an der Jahresausstellung beteiligten Künstlerinnen und Künstler mit dem Heimatbegriff umgehen - vom Gartenzwerg bis zur weltweiten, aber unerfüllten Suche nach einem festen Platz - zeigt die sehenswerte Ausstellung im Renaissancesaal. Sie stellt sich den Fragen von Kleinbürgerlichkeit, Spießigkeit, dem Klischee deutscher Gemütlichkeit und der Konfrontation mit dem Fremden. Was bedeutet eigentlich trautes Heim? Was ist das (Ver-)Traute am oder im Heim und wie entsteht es? Dieser Frage geht die Ethnologin, Soziologin und Professorin für Pflegewissenschaft Charlotte Uzarewicz in ihrer Lesung "Meine Wohnung - die dritte Haut" am Sonntag, 4. September, um 15 Uhr im Rahmen der Ausstellung nach.

Mit dem Verlust von Heimat beschäftigt sich der Dachauer Zeichner Heiko Klohn. Zerbombte Häuser in Syrien, Libanon, Ukraine und Libyen führen die Grausamkeit des Krieges krass vor Augen. Überall dieselben, in ihrer sinnlosen Zerstörung austauschbaren Bilder. Der aufgerissenen, zerschundenen Haut der Häuser wird der Zeichner mit der Technik der Frottage gerecht. Thomas Volkmar Helds Installation "Cocooning Company" aus zwei Stühlen und einer darüber geworfenen Decke ist, wie der vertraute Spielplatz der Kinder in ihrem eigenen Zimmer, der Urbegriff der Geborgenheit. Vor Klohns Bildern von Zerstörung und Verlust wird er zum schützenden Unterschlupf für die heimatlos gewordenen Menschen. Das Vestibül führt diese wunderbare Koinzidenz vor Augen. Dort hängt auch ein Setzkasten aus vielen Papierschächtelchen von Yoko Omomi. In jedem erkennt man ein kleines Motiv: Tisch, Stuhl, Spiegel, Lampe, Sofa. Vertraute Objekte, die Assoziationen und Erinnerungen an die eigene Kindheit oder an die Großeltern wecken. In der Gesamtheit ergeben die einzelnen Appartements ein ganzes Wohnhaus.

Schloßausstellung

Louisa Abdelkaders Arbeit.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Den Niedergang von Heimat zeigt Wolfgang Feik an Fotos von verfallenen Häusern einer amerikanischen Kleinstadt, deren Verbindung zum Hafen abgeschnitten wurde. Der Ort in Virginia verödet, weil die Menschen wegziehen. Ihre Heimat ist plötzlich nichts mehr wert. Mit einem hohen intellektuellen Anspruch begegnet Annekathrin Norrmann dem Zwiespalt zwischen heimischer Geborgenheit und Fernweh. In ihrem symbolhaften Arrangement von Fotografien und Erinnerungsstücken belegt sie sowohl die Verbundenheit zur eigenen Umgebung im Dachauer Landkreis als auch die Suche des Reisenden nach einer Herberge in der Fremde. Sie stellt die Sicht auf die Welt aus den Augen des Hiesigen dar. Demgegenüber bereichert Gideon Gomo aus Zimbabwe mit spirituellen Tierköpfen und Masken den Heimatbegriff mit dem Gefühl von Heimweh.

Das Bindeglied zwischen beiden Lebenswelten ist Alfred Ullrichs Installation "Serengeti darf nicht sterben". In einer wohnzimmerartigen Situation ironisiert der Künstler das Bild Afrikas aus Sicht der Europäer als aufregendes Natur- und Abenteuerparadies und vergleicht sie (Alfred Ullrich arbeitet künstlerisch mit Asylbewerbern aus Afrika) mit den Utopien der Flüchtlinge vom Wohlstandsparadies Deutschland.

Die Japanerin Mayumi Yamakama lebt seit vielen Jahren in Hebertshausen. Ihre feinen Monotypien zeigen unvollständige, unterbrochene oder abgebrochene Kreise ohne Anfang und ohne Ende. Sie vergleicht darin die Suche nach einer eigenen Heimat, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, mit einer niemals endenden Reise. Eine Collage der Erinnerungen an ihr Elternhaus beschreibt die Künstlerin Maria Detloff in ihren ausdrucksvollen Gemälden. Das Elternhaus im rauen Herbstwind, der die letzten Blätter vom Baum fegt, das Elternhaus als Zuflucht im tief verschneiten Wald, der einzige heimelige Ort in der dunklen Gebirgswelt des Bayerischen Walds. Unauslöschbarer Fixpunkt in der eigenen Erinnerung. Einen Schritt weiter geht Margot Krottenthaler. In abstrakten Holzschnitten stellt sie das eigene Heim als ein menschliches Grundbedürfnis dar, um das Chaos der Außenwelt auf Distanz zu halten. Sie geht der Frage nach, was passiert, wenn dieser Raum gefährdet ist.

Schloßausstellung

Schonungslos und aktuell die Arbeiten von Heiko Klohn.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Kulturelle Vielfalt und Migration verändern den Heimatbegriff. Die Dachauer Künstler und ihre Gäste haben den Mut gefunden, ihre Sicht auf die Welt und auf ihre eigene Heimat zu offenbaren, sich bewusst der Spießigkeit, dem Wunsch nach Geborgenheit, Vertrautheit und Schutz zu stellen. Auf der anderen Seite gelingt es ihnen die wesentliche Bedeutung der Heimat gerade in dem Augenblick nachzuempfinden, in dem sie zerstört wird und damit aufzuzeigen, dass der vermeintlich abgedroschene Begriff der Heimat zu den zentralen Bedürfnissen wie Freiheit und Gerechtigkeit gehören.

Am Sonntag, 4. September, um 15 Uhr findet die Lesung von Prof. Dr. Charlotte Uzarewicz "Meine Wohnung - die dritte Haut" statt. Finissage und Katalogpräsentation zur Langen Nacht der offenen Türen am Freitag, 16. September, ab 19 Uhr.

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