Kulturschranne Dachau:Der Bart ist ab

Phil Vetter präsentiert sein bisher erfolgreichstes Anti-Melancholie-Album "Karate" in der Dachauer Kulturschranne.

Wolfgang Eitler

Ein Foto aus seiner Zeit als Sad-Man-Walking zeigt Phil Vetter mit einer Pelzmütze und entrücktem Blick in eine nicht näher bestimmbare Ferne. Die Botschaft lautet: Wer überleben will, muss sich warm anziehen. Der Brennstoff für die Herzen liefern die melancholischen Singer-Song-Writer. Wer nach dem Konzert von Phil Vetter am vergangenen Samstagabend in Arte die Sendung Tracks einschaltete, konnte dort eine Hymne auf die Melancholie vernehmen, weil Musiker wie William Fitzsimmons von ihren leidvollen Trennungen singen, oder Jarle Bernhoft schwergewichtig, ernsthaft, bescheiden und introvertiert von sich sagt: "I'm more concerned with being a human than a man." Weil halt nur das von Wert ist, was "from inside" (Fitzsimmons) kommt. Diese Musiker sind nicht mehr jung genug wie es Leonhard Cohen zur Zeit seiner rilkemäßigen Gefühlsüberhöhungen und jetzt nicht alt genug, um so bittersüß zu sein.

Kulturschranne Dachau: Die meisten Zuhörer in der Kulturschranne kennen das neue Album von Phil Vetter schon, schließlich sind sie teil seiner großen Fangemeinde im Landkreis Dachau. Vetter ist in Karlsfeld aufgewachsen und hat bereits eine beachtliche Karriere hinter sich.

Die meisten Zuhörer in der Kulturschranne kennen das neue Album von Phil Vetter schon, schließlich sind sie teil seiner großen Fangemeinde im Landkreis Dachau. Vetter ist in Karlsfeld aufgewachsen und hat bereits eine beachtliche Karriere hinter sich.

(Foto: DAH)

Nun singt auch Phil Vetter am Samstag in der Dachauer Kulturschranne, wo er sein neues Album "Karate" vorstellt, ältere Lieder. Man muss wohl mehrmals hinschauen, um ihn überhaupt zu erkennen in dem etwas nerdartigen Outfit (schwarzumrandete Brille, Cargohose, kurzem Hemd und dunkelbrauner Borsalino). Der Bart ist genau so ab wie die Melancholie weg. Sie weicht neuen Arrangements auch der Lieder aus den ersten beiden Alben, die man mit als Dekonstruktion bezeichnen kann. Phil Vetter und mit ihm sein Bassist und Produzent Francisco Perez Mazon suchen nach der musikalischen Substanz der Kompositionen, sie zerlegen sie in Riffs mit teils schleppenden Reggaerhythmen in Melodiefragmente und in einen Teppich aus Geräuschen. Und dann kommt noch der Blues dazu, jene Grundlage von Pop und Jazz, in der sich das Lied vom Leid zu einer Klage als musikalische Auflehnung steigert. Daraus entstehen Collagen aus Klangfarben, die Vetter sofort wieder ironisiert, wenn sie zu warm, zu heimelig werden. Vetter setzt auf den Bruch.

Nun könnte eine solche hinlänglich bekannte Form der Zertrümmerung und Zusammensetzung der Fragmente bald langweilig werden. Diese Gefahr bannt Phil Vetter durch seine Stimme. Sie haucht nicht mehr melancholisch. Sie ähnelt nicht mehr einem Sprechgesang eines jungen müden Mannes. Sie ist von wiedererkennbarer Präsenz eines Baritons mit beeindruckendem Höhenlagen. Wunderbar beim Titelsong "Karate". Die neuen Songs sind offener aggressiver und sehnsüchtiger. Deswegen singt Vetter bekenntnislyrisch: "Open your minds for the song." Und das Gefühl bei den ersten Sonnenstrahlen entpuppt sich als ein ziemlich skurril bis heiterer Zustand mit Marimbaklängen vom Synthesizer.

Die meisten Zuhörer in der Kulturschranne kennen das neue Album schon. Sie singen die Texte teilweise leise mit. Schließlich sind sie Teil seiner großen Fangemeinde im Landkreis Dachau. Vetter ist in Karlsfeld aufgewachsen und hat schon eine beachtliche Karriere als Rockmusiker hinter sich. Außerdem ist es ihm gelungen, dass Bayern 3 und Antenne Bayern seinen Song "Geschafft" seit Wochen zu prominenter Sendezeit ausstrahlen. Das neue Album ist sein bisher erfolgreichstes.

Aber das Dachauer Konzert ist kein Abbild. Denn Phil Vetter improvisiert auf der Gitarre und sucht die Nähe zum Publikum. Seine Eltern sagen: "Jedes Konzert ist anders." Mehr loben kann man einen Livemusiker nicht. Das Publikum applaudiert am Schluss enthusiastisch. Nur eines gelingt dem Ex-Melancholiker nicht, dass die Zuhörer auch tanzen. Dazu muss er wohl nochmals wiederkommen. Übrigens singt Vetter selbstverständlich davon, dass er das Gesicht seiner Freundin noch in seinen Händen spürt. Aber ohne Weltschmerz, sondern dezent selbstbewusst als Abschiedslied.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: