Konzertkritik:Sinnliche Musik

Konzertkritik: Alessandro Bianchi aus Como bei der Probe auf der Orgel von Sankt Jakob.

Alessandro Bianchi aus Como bei der Probe auf der Orgel von Sankt Jakob.

(Foto: Toni Heigl)

Alessandro Bianchi aus Como eröffnet die Reihe der Orgelkonzerte in Sankt Jakob virtuos. Neben Bach und Reger präsentiert er beeindruckende zeitgenössische Komponisten

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Ein Orgelkonzert, das mit "Power of Life" beginnt, ist schon etwas Besonderes. Das erste Orgelkonzert in Sankt Jakob des Jahres 2015 begann damit, und es hielt das somit gegebene Versprechen. "Power of Life" ist ein Orgelstück des 1942 geborenen Mons L. Takle und es ist - erste Besonderheit - kein bisschen modern, sondern durch und durch harmonisch, melodisch eingängig und - zweite Besonderheit - eher bei der leichten Muse angesiedelt als bei der meist schwerwiegenden, oft auch theologisch befrachteten Orgelmusik. Es ist eine recht diesseitige, klangsinnliche Toccata, bei der die Hände des Organisten keinen Moment zur Ruhe kommen.

Eine gute Brotzeit, vielleicht auch ein gutes Orgelkonzert hält Leib und Seele zusammen. Nach der "leiblichen" Toccata war das Seelische mit Bachs großem Orgelchoral "Schmücke dich, o liebe Seele" gegeben. Von diesem Stück schwärmte Robert Schumann in einem Brief an Felix Mendelssohn: "Um den cantus firmus (die Choralmelodie) hingen vergoldete Blättergewinde, und eine Seligkeit war dareingegossen, dass Du mir selbst gestandest, wenn das Leben Dir Hoffnung und Glaube genommen, so würde Dir dieser einzige Choral alles von neuem bringen."

Im Programm des italienischen Gastorganisten Alessandro Bianchi aus Como, der die Konzertreihe in Sankt Jakob geradezu fulminant eröffnete, war dieser Bach-Choral eine Insel der Ruhe und der Seligkeit (im Sinne Robert Schumanns). Über das sehr innige evangelische Kirchenlied "Wie schön leuchtet der Morgenstern" hat Max Reger eine große Orgelfantasie gebaut, bei der sich Virtuosität und Innigkeit, wieder wie Leib und Seele, ideal ergänzen. Ähnlich geartet ist der Choral h-Moll von Cesar Franck, bei dem der Organist volle 15 Minuten lang im wörtlichen wie im übertragenen Sinn alle Register ziehen muss. Alessandro Bianchi hatte für beide sehr groß angelegten Orgelchoräle sowohl in seiner Spielweise wie auch in den Registrierungen einen idealen Zugriff.

Seine ungeheure Virtuosität tobte Bianchi vor allem bei einer "Concert Study" von Pietro Alessandro Yon, einem heute vergessenen italienischen Komponisten von schier unglaublicher Karriere aus. 1905 wurde er als 19-Jähriger (!) Organist von Sankt Peter im Vatikan, 1907 wanderte er in die USA aus und wurde Organist an einer Kirche in New York und weit bekannter Konzertorganist. 1921 erwarb er die amerikanische Staatsbürgerschaft und wurde zugleich Ehrenorganist an der Peterskirche im Vatikan. Seine "Concert Study" verlangt vom Organisten unerhörte Leichtigkeit der Füße im Pedalspiel. Da bei den Orgelkonzerten in Sankt Jakob der Organist an der Orgel auf eine Leinwand vor den Augen des Publikums projiziert wird, konnte man sehen, wie die Füße in einer unbegreiflichen Geläufigkeit und Geschwindigkeit über die Pedaltasten fast flogen.

Als Klavierspieler möchte man das nicht einmal mit der Hand nachspielen. Das ist absolut sinnliche, leibhaftige Musik, bei der man auf den Gedanken kommen konnte, der Leibhaftige sei bei der Komposition und Ausführung mit im Spiel gewesen, doch das Amt und spätere Ehrenamt im Vatikan verbieten solche Spekulationen. Aber gehört und gesehen hat man Derartiges von einem Organisten noch nie.

Das Finale der Orgelsymphonie op. 20 von Louis Vierne war ein mächtig brausendes Finale eines Konzerts, bei dem - dritte Besonderheit - zwar Werke von drei zeitgenössischen Komponisten aufgeführt wurden, aber alles tonal und harmonisch blieb.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: