Konzerte für Babys:Nuckeln zu Rachmaninoff

Konzerte für Babys: Konzertgenuss für Eltern und Babys in entspannter Atmosphäre: Die Kleinen dürfen auch herumlaufen, tanzen oder spielen.

Konzertgenuss für Eltern und Babys in entspannter Atmosphäre: Die Kleinen dürfen auch herumlaufen, tanzen oder spielen.

(Foto: privat)

Mit Baby ins Konzert, das ist kaum machbar. Mareike Rill aus Karlsfeld veranstaltet deshalb die Reihe "Baby meets classic". Alles begann in ihrem Wohnzimmer.

Von Christiane Bracht, Dachau/Karlsfeld

Rote Samtkissen, Festtagsgarderobe, absolute Stille - das muss nicht sein, um ein klassisches Konzert genießen zu können. Wenn das Duo Elisabeth Urban und Philipp Nitzl den Saal betritt, ist von erwartungsvoller Ruhe nichts zu spüren. Kein Klatschen, keine Blicke, die den Musikern aufmerksam folgen, bis sie Platz genommen haben. Stattdessen: Kleinkinder, die im Raum herumtapsen oder auch mal schreien, Babys, die glucksen, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt.

Erwachsene, die auf Krabbeldecken herumlungern, sich unterhalten und Kaffee trinken. Manche spielen auch mit ihrem Nachwuchs. Es ist ein großes Tohuwabohu. Laut und unkoordiniert. Doch dann schlägt Nitzl den ersten Ton am Klavier an, die Geige setzt zart ein. Stille. Die Kinder schauen die Musiker gebannt an, lauschen. Die Erwachsenen heben die Köpfe, sind beglückt. Das Konzert beginnt.

"Baby meets classic" nennt sich die Veranstaltungsreihe, die die Karlsfelderin Mareike Rill im vergangenen Jahr ins Leben gerufen hat. Mehr als 20 Konzerte haben die Violinistin Elisabeth Urban und der Pianist Philipp Nitzl bereits für Eltern mit ihren Babys oder Kleinkindern bis zwei Jahre gegeben. Am Sonntag, 14. Januar, finden zwei weitere im ASV-Theatersaal in Dachau statt - eins um 11 Uhr und eins um 15 Uhr. Auf dem Programm steht neben Franz Schubert, Wolfgang Amadeus Mozart und Claude Debussy auch Modernes von Camille Saint-Saëns, Vittorio Monti und Jules Massenet.

Zum Ende hin ist etwas schwerere Kost geboten von Johann Sebastian Bach, Antonin Dvořák und Sergej Rachmaninoff. "Wenn die Kinder unruhig werden, ist es immer gut, etwas wildere und lautere Stücke zu spielen", sagt Urban. "Dann können sie tanzen und klatschen." Eine Stunde lang dauert das Konzert. Neben der Musik ist alles geboten, was junge Eltern wünschen: Essen, Getränke, Wickeltisch, Stellplätze für Kinderwagen und vor allem Verständnis, denn alle sitzen im gleichen Boot, keiner muss sich schämen, wenn das Kind plötzlich laut herum kräht oder kaum noch zu bändigen ist.

Die Idee zu den Konzerten kam Mareike Rill im Familienkreis. "Wir sind früher viel in den Gasteig gegangen", erzählt die junge Mutter. Doch seit ihr Sohn auf der Welt ist, sei das schwierig geworden. Anfangs habe sie es mit einem Babysitter versucht, aber das Kind wollte nicht allein bei jemand Fremdem bleiben, schrie und war nicht zu beruhigen. Die Eltern mussten das Konzert frühzeitig verlassen. Seither verzichten die Rills lieber auf die Philharmonie.

Auch die Familienkonzerte eines Münchner Anbieters waren nicht die Lösung: "Die Musik war ganz schön, aber die Atmosphäre hat gefehlt. Der Saal war komplett überfüllt", erzählt die Karlsfelderin, und so blieb die junge Familie doch lieber wieder zu Hause. Erst als ihre Freundin Elisabeth Urban bei Taufe und Hochzeit die Geige auspackte und spielte, kamen Rill und ihr Mann wieder in den Genuss eines Konzerts. Und was die beiden am meisten freute: "Unser Sohn hat das toll gefunden."

Auch die Musikerin war fasziniert: "Der Kleine wollte immer wieder zur Kerze. Er war so gebannt von dem Feuer, dass man ihn kaum davon abbringen konnte. Aber sobald ich die Geige herausholte und zu spielen oder singen begann, war er ganz bei mir und dem Instrument. Ein tolles Erlebnis", schwärmt sie noch heute.

Die Musik löst bei den Kleinen starke Emotionen aus

Sie kam öfter zu Besuch - immer mit ihrer Geige. Nachbarn und Freunde gesellten sich dazu, sobald sie ihr Instrument in die Hand nahm, lauschten und genossen - auch die Kinder. "Aber irgendwann wurde unser Wohnzimmer zu klein", sagt Rill. Da hatte die junge Mutter die Idee, die Konzerte ihrer Freundin einem größeren Publikum zugänglich zu machen. "Das erste war aufregend", erzählt Urban, die schon damals, im März 2017, gemeinsam mit Nitzl auftrat.

"Als wir mit der Mondscheinsonate anfingen, kam ein kleines Mädchen zu uns und hat sich immer wieder gedreht und gedreht, die ganze Zeit während wir spielten. Das war ein schöner Beginn." Seither gibt es, wenn möglich, zwei Konzerte pro Monat. Viele Vorstellungen sind ausverkauft. Die Baby-Konzerte sind übrigens nicht nur bei Klassikliebhabern beliebt, das Publikum ist sehr gemischt: Die einen tragen Krawatte, die anderen Rastalocken. Auch Großeltern sind dabei.

Doch was inspiriert die Musiker, wenn sie selbst oder das, was sie ihren Instrumenten entlocken, nicht im Mittelpunkt steht? "Es ist der wache Blick der Kinder, die die andere Klangerzeugung wahrnehmen", sagt die Geigerin. "Und es ist der Reiz, zu sehen, wie die Kinder reagieren. Wir können ihnen einen neuen Höreindruck vermitteln und Lust auf mehr machen. Klassik ist nichts Abgehobenes, es ist nicht für einen elitären Kreis, sondern es ist etwas Schönes, dass wir für alle zugänglich machen wollen", sagt Urban.

Doch die Babykonzerte sind für die beiden Musiker auch eine besondere Herausforderung. "Sie sind manchmal richtig anstrengend", gibt Urban zu. Denn die Kinder kommen, wollen an den Musikern hochklettern oder ihnen Spielsachen geben. "Da ist es schwer gut zusammenzuspielen", sagt die Geigerin. Andere fokussieren die beiden und wollen ihre Aufmerksamkeit. "Aber es ist auch schön zu sehen, wenn die Kleinen sich zur Musik bewegen.

Denn die Musik löst starke Emotionen aus. Das merkt man bei den Kleinen deutlich." Während Babys oft entspannt einschlummern, machen die Älteren irgendwann Rabatz. Und so folgen die Babykonzerte ihren eigenen Regeln: kein Klatschen, nur Winken, um die Kleinsten nicht zu wecken. Und die Dauer des Konzerts darf eine Stunde nicht überschreiten.

"Für die Kleinen ist Musik einfach wundervoll und trägt zu einer positiven Entwicklung bei", wirbt Mareike Rill. Das klingt ein bisschen nach Fördereifer statt nach Genuss. Und so gibt es auch immer wieder Eltern, die sich nach dem Konzert bei Urban erkundigen, ab wie viel Jahren sie Kinder unterrichtet. "Sie haben Angst, etwas zu verpassen", erklärt die Musikerin. "Ich sage ihnen dann, dass ich selbst erst mit zwölf Jahren angefangen habe, Geige zu spielen." Rill will aber vor allem den Eltern eine schöne Zeit bescheren.

Die Konzerte sind nicht ganz billig, 17 Euro kostet der Eintritt, aber wer ihn zahlt, tut damit auch etwas Gutes. Denn ein Teil wird an Hilfsorganisationen gespendet. Die Karlsfelderin verdient nichts an den Konzerten, macht alles ehrenamtlich. Nur Saalmiete und die Gage der Musiker schlagen zu Buche. "Die müssen von ihren Auftritten schließlich leben", sagt Rill.

Ihr Sohn ist inzwischen zweieinhalb und aus dem Alter für Babykonzerte heraus. Deshalb plant die Konzertmanagerin nun weitere Formate: Mitmachkonzerte für Kinder könnten vom Frühjahr an das Repertoire erweitern. Aber noch ist das Zukunftsmusik.

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