Konzert zur Austellung im Wasserturm:Eine starke Gemeinschaft

Musik aus Ludwigsfeld

Der Ludwigsfelder Chor nimmt das Publikum bei seinem Auftritt am Wasserturm in Dachau auf viele musikalische Stationen mit.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Lu'krainians, Hound Dogs und Siedlerchor demonstrieren nicht nur die musikalische Vielfalt in Ludwigsfeld

Von Walter Gierlich, Dachau

Nein, die Besucher sitzen nicht am Rande der Kiewer Altstadt hoch über dem Dnjepr bei einem ukrainischen Familienfest. Sie lauschen vielmehr am Dachauer Schlossberg im Schatten des Wasserturms dem beeindruckenden Gesang eines Chors aus der nahen Siedlung Ludwigsfeld, die schon multikulti war, als es das Wort noch gar nicht gab. Menschen aus 32 verschiedenen Nationen lebten in den einfachen, zu Beginn der Fünfzigerjahre errichteten Wohnblocks. Eine der größten Gruppen in diesem Völkergemisch bildeten nach dem Zweiten Weltkrieg Gestrandete aus der Ukraine, die sich bis heute in der mittlerweile dritten und vierten Generation durch ein besonders starkes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Ludwigsfelder Gemeinschaft auszeichnen.

Das musikalische Ensemble der Volksgruppe, das im Rahmenprogramm der Ausstellung "Vom KZ-Außenlager zur Siedlung Ludwigsfeld" auftritt, singt und spielt schon seit Jahrzehnten zusammen, naturgemäß aus Altersgründen in immer wieder wechselnder Besetzung. In Dachau wirken 14 Musiker und Sänger mit - und zwar generationenübergreifend. Ursprünglich habe man nach ukrainischer Tradition lediglich bei Familienfesten wie Hochzeiten oder an Feiertagen gesungen, die Kinder und Enkel seien einfach reingewachsen, erzählt der junge Chorleiter Maxym Gela. Er auf der Ziehharmonika, sein Vater Petro mit dem Tamburin, sein Bruder Toma (Gitarre) und Nazar Sochoronoczak (Ukulele) bilden den Kern der "Lu'krainians", die durch zehn Sängerinnen und Sänger ergänzt wurden. Und obwohl sie alle Amateure sind, die weder regelmäßig proben noch eine feste Besetzung haben, klingen ihre Lieder von Liebesfreud und Liebesleid, vom Hirtenleben und vom Tanzvergnügen wesentlich authentischer als die klischeebehafteten und stets kitschverdächtigen Gesänge der zahlreichen Don-Kosaken-Chöre, die regelmäßig vor allem in der Vorweihnachtszeit durch Deutschland touren. "Wir können nie eine Garantie geben, dass es perfekt ist, aber wir geben immer unser Bestes", sagt Maxym Gela. Man kann sehen, mit welcher Begeisterung alle dabei sind und wie viel Spaß ihnen der Auftritt macht. Oft ist es so schwungvoll, dass so mancher Zuhörer am liebsten aufspringen und ein flottes Tänzchen wagen würde. Musikalität und Lebensfreude bilden in den Liedern und den Instrumentalstücken eine Einheit, die das Publikum regelrecht mitreißt.

Da die Lieder alle in ukrainischer Sprache gesungen werden, gibt Oresia Poletko, die Tante des Chorleiters, die von Geburt an in der Siedlung Ludwigsfeld aufgewachsen ist, jeweils auf Deutsch kurze Inhaltsangaben. Da wird es auch schon einmal nachdenklich: "Roter Wein, wer soll dich trinken, wenn ich in den Krieg ziehen muss, aus dem ich vielleicht nicht zurückkehren werde", übersetzt sie. Und ein Blick auf die Texthefte lässt staunen, denn sie sind - auch bei den jüngsten Sängern - in kyrillischer Schrift. Oresia Poletko betont, dass Ludwigsfeld für die Displaced Persons nach dem Krieg und deren Nachkommen mehr als nur ein Wohnort geworden sei, eine neue Heimat, die sie geprägt habe. Doch allmählich beginne der Zusammenhalt zu bröckeln, wird sie später erzählen, denn seit der Bund die Siedlung an eine private Wohnungsgesellschaft verkauft hat, seien die Mieten für manche unerschwinglich geworden. Dennoch hat es immer wieder Zuzug gegeben, sei es von Rückkehrern, die es beruflich anderswohin verschlagen hatte, oder durch Einheirat in die Community am Münchner Stadtrand wie etwa bei dem Dachauer Michael Braun, der die Ausstellung organisiert hat. Er ist zusammen mit seiner Frau Esther eine der Gründer des Ludwigsfelder Chors, der das gelungene Freiluftkonzert eröffnet. Unter Leitung von Irina Abrahamjan bieten die Sänger eine überwiegend fröhliche musikalische Weltreise, die nach Südafrika und Armenien ebenso führt wie nach Griechenland oder Sibirien. Auch Deutschland, beispielsweise mit dem "Trinklied im Mai" von Franz Schubert, und Österreich mit "Weit, weit weg" von Hubert von Goisern sind Stationen der Tour.

Dann die Hound Dogs: Die Auftritte der Brüder Nadir und Ekram Kurbanoglu (Schlagzeug und Bass) sowie Johann Riesz und Janis Bankavs (beide Gitarre) im einstigen Café Flori oder im Gröbenrieder Jagdhof sind legendär. Und auch jetzt, mehr als 50 Jahre nach der Gründung der Band sind sie alljährlich mit ihrem klassischen Rock auf dem Volksfest dabei mit Oldies von Creedence Clearwater Revival, den Beatles oder den Rolling Stones. Und damit haben sie trotz des DFB-Pokalendspiels viele, vor allem ältere Fans an diesem milden Abend an den Wasserturm gelockt. Nostalgie, aber gekonnt.

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