Konzert:Ein Abend wie einst im Teufelhart

Barry Altschul

Saxofonist Jon Irabagon, Schlagzeuger Barry Altschul und Bassist Joe Fonda in der Schranne in der Dachauer Altstadt.

(Foto: Niels Jörgensen)

Das Trio "Barry Altschul 3Dom Factor" beschwört mit klassischem Freejazz nostalgische Erinnerungen herauf

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Diese Einordnung mag klingen, als zwinge man zwei Welten zusammen: klassischer Freejazz. Aber was hilft's, wenn bei einem Musikstil die Avantgarde und die Entfesselung zwar zum Selbstverständnis gehören, wenn zugleich aber auf eine bereits wieder Jahrzehnte währende Geschichte und stilistische Entwicklung zurückzublicken ist. Auch Komponisten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit brandneuer Musik beeindruckten, mitunter empörten, gehören nun zur sogenannten klassischen Moderne. Jedenfalls ist dieses Konzert des amerikanischen Trios "Barry Altschul 3Dom Factor" beim Jazz e.V. in der Kulturschranne genau das: klassischer Freejazz.

Und weil nicht nur die Klassik eine Geschichte hat und nicht nur der Freejazz, sondern mittlerweile auch der Jazz e.V. als Forum für neue freie Jazzmusik, fühlt man sich an diesem Abend geradezu an die früheren Zeiten des Dachauer Jazzclubs im einstigen Café Teufelhart erinnert. Denn was die drei Musiker bieten, ist das, was damals beim Jazz e.V. häufig zu hören war: drei Könner auf ihren akustischen Instrumenten, ein Saxofonist, ein Kontrabassist, ein Schlagzeuger - los geht's.

Viel Subtiles

Dass dabei eine ganz andere Musik entsteht als vor zwei Wochen bei "Edi Nulz", liegt in der Natur der Sache: Wo neulich exakt arrangierte, feingliedrige Überraschungsmomente vorherrschten, geht es nun um prozessuales Voranschreiten, um gemeinsames Improvisieren von musikalischer, dramatischer Entwicklung, von Struktur und von Klangfarbe. Auffallend ist dabei, dass die drei Musiker insbesondere in der ersten Konzerthälfte häufig eine ruhigere Klangatmosphäre erschaffen: viel Subtiles, weniger treibende Grooves. Manchmal reduziert Saxofonist Jon Irabagon sein Spiel auf dezente Geräuschimpulse oder einen leisen, kaum hörbaren Lufthauch, auf ein filigranes hohes Pfeifen, als entweiche Luft aus einem winzigen Ventil. Dazu von Barry Altschul ein in der Prägnanz extrem reduziertes Schlagzeugspiel und von Joe Fonda mitunter sogar ein in Flageoletttönen gestrichener Kontrabass. Wenn dann plötzlich eine fast hemmungslos romantische Ballade in den Raum gezaubert wird, sanft mit den Schlagzeugbesen grundiert, in ihrer melodischen Schönheit aber nie rein, sondern raffiniert und leicht gebrochen, ist das wunderbar.

Dennoch ist das als Hörerlebnis nicht nur kurzweilig - was auch daran liegt, dass Irabagon sein klanglich beeindruckendes Spiel nicht mit so hingebungsvoller Unbedingtheit und damit nicht mit so faszinierender Bühnenpräsenz zelebriert wie die beiden Altmeister Altschul und Fonda an seiner Seite. Das wirkt mitunter etwas akademisch.

Ein schönes Konzerterlebnis

Und so tut es der Dramaturgie des Abends gut, dass das zweite Set das merklich kraftvollere ist: Noch immer gibt es zwischendurch Ruhiges, doch die Wege hin zur furiosen Verdichtung der Musik, hin zum Beat, hin zum feurigen Forte, werden nun viel schneller und konsequenter beschritten. Ja, sogar ein mächtig vorantreibender Swing blitzt zwischendurch auf. Die Musik wirkt dadurch komprimierter, intensiver - und sie führt häufiger zu hochvirtuosen Soli der Musiker in rascher Fahrt.

Ob man sich an diesen Jazzabend in der Dachauer Altstadt lange erinnern wird, sei dahingestellt. Aber für den Live-Moment bietet er in seiner gediegenen Expressivität ein schönes Konzerterlebnis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: