Kommentar:Zweifel an der Glaubwürdigkeit

Der Umgang mit Jan-Robert von Renesse zeigt, dass es mit der Bewältigung der deutschen Schuld eben doch nicht so weit her ist

Von Helmut Zeller

Was der ehemalige Justizminister Nordrhein-Westfalens, Thomas Kutschaty, am Sonntag tat, ist unbekannt, jedoch auch nur von geringem Interesse. Der SPD-Politiker, der den aufrechten Sozialrichter Jan-Robert von Renesse beruflich fertig machen wollte, kämpft nach der Bundestagswahl mit einem "Glaubwürdigkeitsproblem" seiner Partei, wie er feststellte. Sie soll entscheiden, ob ausgerechnet er dafür der Richtige ist. In die Geschichte der Ghetto-Renten für Holocaust-Überlebende wird sein Name als Fußnote eingehen, während Renesse am Sonntag in Dachau mit dem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde. Drei Wochen zuvor hat ihn die Europäische Janusz-Korczak-Akademie mit dem "Preis der Menschlichkeit" geehrt. Das sind - gerade aus Dachau - notwendige Zeichen; denn man kann angesichts des Skandals, wie Politik und Behörden das Recht der Holocaust-Überlebenden fast schon zynisch auszuhebeln versuchten, doch erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit deutscher Vergangenheitspolitik bekommen.

Die Entschädigungspraxis gegenüber Juden, die Anfänge der sogenannten Wiedergutmachung in den Fünfzigerjahren waren keinesfalls von Schuld und Scham geprägt. Im Gegenteil: Auch das Leid von Opfergruppen wie Sinti und Roma oder Homosexuellen oder Zeugen Jehovas wurde Jahrzehnte lang ignoriert. Und noch heute: Die Restitution geraubten jüdischen Eigentums wird nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Deutschland verzögert und behindert. Und wo bleiben finanziell ausreichende Hilfen für diejenigen Holocaust-Überlebenden, die in bitterer Armut leben - als Folge der Verfolgung durch Nazi-Deutschland?

Dachau hat gut daran getan, Richter Jan-Robert Renesse zu ehren und damit seine Stimme gegen den beschämenden Umgang mit Holocaust-Überlebenden zu erheben. Auch mit Blick auf gute Beziehungen zu Israel, die zumindest von der Stadtspitze nach wie vor gewünscht sind. In Israel ist Renesse "ein Held des jüdischen Volkes", wie Emmanuel Nah-shon 2013 als Gesandter der Botschaft Israels in Berlin erklärte. Die Ehrung am Tag der Menschenrechte ist auch eine Absage an Vorgänge, die in einem demokratischen Rechtsstaat eigentlich nicht sein dürften - dass es großer Zivilcourage bedarf, um die Rechte einzelner gegen eine inhumane Justiz zu behaupten. Bleibt die Hoffnung, die Wolfgang Benz ausdrückte: "dass der Preis für den Humanisten Jan-Robert von Renesse ihn nicht in der Karriere als Sozialrichter weiter beschädigen möge."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: