Kommentar:Vertrauen verspielt

Der TSV 1865 hat den Vorsitzenden Sebastian Stirner verprellt und sich damit selbst am meisten geschadet

Von Viktoria Großmann

Der überraschende Rücktritt Sebastian Stirners als Vorsitzender des TSV 1865 hat dem Verein geschadet. Dieser muss sich fragen lassen, was in einem Traditionsverein passieren muss, damit einer sein Amt nach acht Monaten bereits niederlegt. Hat Stirner einfach kein ausreichend dickes Fell? Warum hat ihn der Vorstand nicht mehr unterstützt? Was herrscht überhaupt im TSV für eine Kultur, wenn ein gewählter Vorsitzender sich Anfeindungen ausgesetzt sieht? Von Neid, Misstrauen und alten Seilschaften ist die Rede. Von Drohungen gar. Wenn das auch nur zum Teil wahr ist, dann hat sich der TSV, der zum 150-Jährigen gerade Glückwünsche höchster Sportgremien und nicht wenige finanzielle Zuwendungen erhalten hat, ordentlich blamiert.

Vor allem muss er sich überlegen, wie er nun vor seinen Unterstützern dasteht. Der Verein befindet sich in langwierigen Verhandlungen über seine Aussiedlung von der Jahnstraße auf ein neues, größeres Grundstück. Kürzlich hat dazu Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) extra eine Mitgliederversammlung besucht und darüber gesprochen, auch viele Stadträte waren anwesend. Das zeigt, dass der TSV und seine Anliegen ernst genommen werden. Wie lange aber noch soll ein Verein ernst genommen werden, der sich augenscheinlich selbst zerfleischt? Der einen Vorsitzenden in acht Monaten in die Knie zwingt, andererseits aber keinen Ersatz parat hat?

Der traditionsreiche, von außen so hochgelobte TSV 1865, der ja einige sportliche Erfolge vorzuweisen hat, hat sich in eine denkbar schlechte Verhandlungsposition gebracht. Von einem 150 Jahre alten Verein sollte man Glaubwürdigkeit und Kontinuität erwarten dürfen. Einige Mitglieder sprechen von der Möglichkeit eines Neuanfangs und einer Chance - die natürlich in jedem Tiefpunkt steckt. Das kann schmerzhaft werden, denn dazu müsste man sich im Verein auch eigenen Fehlern stellen und möglicherweise grundlegend aufräumen. Um dann, um im Bild zu bleiben, vielleicht eine ganz neue Mannschaft an der Spitze aufzustellen. Warum nicht eine Jugendmannschaft? Talentsuche und Nachwuchsförderung sollten dem Verein nicht nur auf dem Spielfeld wichtig sein. Es wird dem TSV nichts anderes übrig bleiben, als offensiv zu handeln. Sonst verspielt er noch mehr Vertrauen.

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