Kommentar:Salomonische Empfehlung

Würde die Stadt den Neubau eines Hauses direkt an den Mauern des ehemaligen Konzentrationslagers zulassen, würde sie damit an die Fehler der Vergangenheit anknüpfen. Für Dachau gibt es einen anderen Weg

Von Benjamin Emonts

Seit Mitte der Neunzigerjahre hat Dachau einen Paradigmenwechsel vollzogen und sich der nationalsozialistischen Vergangenheit gestellt. Heute, wenige Wochen vor den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers, gibt es hier ein Jugendgästehaus, eine Einrichtung, in der sich junge Menschen intensiv mit der Zeitgeschichte und den Verbrechen der Nazis auseinander setzen. Dachau pflegt internationale Partnerschaften mit anderen Städten und enge Kontakte nach Israel. Diese Woche ist die Stadt einem Runden Tisch gegen Rassismus beigetreten. Die politischen Vertreter der Stadt weisen inzwischen stolz auf den zukunftsweisenden Lernort hin.

Vor diesem Hintergrund wäre es fatal, würde die Stadt den Neubau eines Hauses direkt an den Mauern des ehemaligen Konzentrationslagers zulassen. Sie würde ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Auf die Abertausenden Besucher, die jedes Jahr in die Gedenkstätte kommen, wirkt die bereits bestehende Bebauung befremdlich bis pietätlos. Die Genehmigung des Neubaus auf dem letzten noch freien Grundstück wäre eine weitere Provokation und würde die skandalöse Baupolitik der Achtzigerjahre nachträglich billigen. Damals versuchte die Stadtführung gezielt, die Topografie der Gedenkstätte durch ein großes Wohngebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu beeinträchtigen. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) sagt völlig richtig: "Die Wohnsiedlung würde heute niemals genehmigt werden."

Allerdings ist vor dreißig Jahren Baurecht geschaffen worden, auf das sich der Antragsteller berufen kann und vermutlich wird. Um einen massiven Streit und womöglich gerichtliche Auseinandersetzungen zu verhindern, bleibt wohl nicht anderes übrig, als der salomonischen Empfehlung des ehemaligen KZ-Häftlings Max Mannheimer zu folgen und dem Eigentümer von städtischer Seite ein Ersatzgrundstück anzubieten.

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