Kommentar:Historische Verantwortung

Wer nicht zur Europawahl geht, weil er sie als überflüssig empfindet, vielleicht sogar als langweilig, macht den Weg frei für Rassen- und nationalen Wahn. Mit der Rolle Dachaus als Lern- und Erinnerungsort ist das nicht vereinbar.

Von Elena Adam

Nie wieder. Diese beiden Worte stehen in unterschiedlichen Sprachen auf einer Tafel der KZ-Gedenkstätte Dachau. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. In Westeuropa ist dieser Wunsch Wirklichkeit geworden, beinahe 70 Jahre Frieden liegen hinter uns. Am 25. Mai ist Europawahl - und wer geht hin? Wenn man den Umfragewerten der letzten Wochen glauben kann, werden nur wenige Deutsche an diesem Tag ihre Stimme abgeben.

Die Wahlbeteiligung sinkt auch in Dachau von Jahr zu Jahr. Dabei haben gerade die Bürger dieses Landkreises eine besondere Verpflichtung gegenüber Europa. Das Konzentrationslager Dachau war ein Lager der politisch Verfolgten. Nach der Befreiung durch amerikanische Truppen waren es besonders die ehemaligen Häftlinge aus Dachau, die politische Verantwortung in ihren Ländern übernahmen: Der Belgier Arthur Haulot, der Franzose Edmond Michelet, der Österreicher Hermann Langbein. Weil sie aus verschiedenen Ländern nach Dachau deportiert wurden, war der Widerstand der Häftlinge im KZ Dachau eine Keimzelle demokratischen Denkens und für den Wunsch eines friedlichen Zusammenlebens der Völker in Europa.

Wer nun beschließt, seine Stimme am 25. Mai nicht abzugeben, wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er zu faul für den Frieden ist. Denn Frieden in Europa ist kein Grundrecht, keine Selbstverständlichkeit, kein Selbstläufer - sondern das Ergebnis jahrzehntelanger politischer Zusammenarbeit. Wer die Europawahl als überflüssig empfindet, vielleicht sogar als langweilig, macht den Weg frei für Rassen- und nationalen Wahn. Dabei wollten wir doch genau das "nie wieder".

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