Knochenharter Kreativjob:Bässer geht's nicht

Auf den ersten Dub-Partys in Dachau ließen Robin Modjesch, Christian Mayo und Florian Westermeier mit ihren selbst gebastelten Anlagen die Wände wackeln. Heute ist ihr Soundsystem bei Veranstaltern auf der ganzen Welt gefragt.

Von Thomas Altvater, Dachau

Das sind wohl die ersten Verschleißerscheinungen, die die drei jungen Männer plagen: Zweien zwickt es im Knie, der dritte hat es mit dem Rücken. Auch wenn es mittlerweile gelegentlich schmerzt, die harte, körperliche Arbeit ist Teil ihrer Leidenschaft, ihres kreativen Hobbys. Dann schleppen sie Musikboxen durch die Gegend und stapeln sie zu meterhohen Türmen oder langen Wänden.

So monströs die Gebilde aus Lautsprechern auch aussehen, so fein ist das Gehör von Florian Westermeier, Robin Modjesch und Christian Mayo. Sie philosophieren über Frequenzen, Bässe und vor allem: den richtigen Sound. Denn an den Ohren fehlt den drei Männern aus Dachau, die mit ihrem "Elemental Wave Soundsystem" mittlerweile international erfolgreich sind, bisher nichts.

Alles begann vor 17 Jahren. Die Berliner Band Seeed feierte damals mit ihren Dancehall-Songs Erfolge jenseits des Genre-Publikums, der Hamburger Rapper Jan Delay ließ sein Hiphop-Projekt ruhen und veröffentlichte ein Reggae-Album, aus Jamaika schwappte eine Welle karibischer Klänge Deutschland. Dub und Rootsreggae waren die Musikrichtungen, die Florian Westermeier bereits damals begeisterten. "Im Jahr 2001, auf einer privaten Party irgendwo in Dachau, habe ich diese Musik dann zum ersten Mal aufgelegt", erinnert sich der 32-Jährige. Knapp zwei Jahre später veranstaltete er die erste öffentliche Dub-Party Dachaus.

Komplexes Zusammenspiel

Robin Modjesch stand an diesem Abend an der Bar. Auch er war sofort fasziniert. Und begann, die Dub-Partys gemeinsam mit Westermeier zu organisieren und aufzulegen. Erst in fremden Lagerhallen, ohne Genehmigung, später in der Dachauer Rockschmiede und im neu gegründeten Jugendzentrum "Freiraum". Christian Mayo erweiterte das Team in den darauffolgenden Jahren. Seitdem veranstalten die drei Dachauer regelmäßig Dub-Events, auf denen bis zu 1300 Besucher ein komplexes Zusammenspiel aus Musikern, DJs und einem Soundsystem erleben.

Der Dub entstand Ende der 1960er-Jahre in der Reggae-Hochburg Jamaika. Die Aufnahmen von Bob Marley oder Peter Tosh genügten den jamaikanischen Produzenten nicht. Sie mischten die Songs neu, versahen sie mit Effekten und verstärkten die Rhythmen durch einen markanteren Bass. Sogenannte Soundsysteme, kleine Türme aus Lautsprechern, die schnell auf- und abgebaut werden konnten, trugen die neuen, modifizierten Klänge in die Hinterhöfe der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Im Schatten des enorm erfolgreichen Roots Reggae entstand so eine neue Subkultur. Essentiell für die Soundsysteme waren und sind noch immer Schallplatten, damals auch Dubplates genannt, die den Namen des Genres prägten.

Sound System

"Die Musik muss man einfach mit viel Sound und viel Bass hören": Die Dub-Fans und Soundsystem-Betreiber Christian Mayo, Robin Modjesch, und Florian Westermeier mit einem Modell ihrer Anlage.

(Foto: Niels P. Joergensen)

"Die Musik muss man einfach mit viel Sound und viel Bass hören", erklärt Modjesch. Nach und nach kauften Westermeier, Modjesch und Mayo eigene Lautsprecher, bauten sie nach ihren Vorstellungen um und arbeiteten an ihrem eigenen Klang. Auf ihren Partys in Dachau machten sie erste Gehversuche mit ihrem Soundsystem. Dass sie ihrem Ziel, die Dub-Musik so kraftvoll wie möglich zu präsentieren, immer näher kamen, zeigten auch die häufigen Beschwerden der Anwohner. "Irgendwann hat das dann aber einfach keinen Spaß mehr gemacht", sagt Westermeier. Vor zwei Jahren zogen sie in eine Münchner Location um. In Dachau würden sie dennoch gerne einmal wieder spielen. "Aber da ist einfach kein Platz", erklärt Modjesch.

44 000 Watt

Bauen sie ihre knapp vierzig Boxen auf, erreicht ihr Soundsystem eine Länge von ungefähr zehn Metern, und ragt bis zu zwei Meter in die Höhe. Mit etwas mehr als 44 000 Watt beschallen sie ihr Publikum. Es geht um das Erleben, das Fühlen der Musik. "Man kann das niemandem erklären, jeder muss da selbst einmal dabei gewesen sein", sind sich die drei Dachauer, die als Tontechniker arbeiten, einig.

Die Wand aus Lautsprechern ist dabei nur ein Teil des Konzepts. "Die Musikboxen sind sozusagen ein eigenes Instrument", erklärt Westermeier, der auch sein eigenes Plattenlabel "Stepwise Records" gegründet hat. Ständig tüfteln die drei Dachauer an ihrem Sound, es ist ein steter Prozess von Innovation und Inspiration. Ihre Lautsprecher haben sie in mühevoller Handarbeit selbst gebaut. "Der eigene Sound ist so ein bisschen wie ein eigenes Auto", sagt Westermeier. Man muss sich daran, die Grenzen austesten und einen eigenen Fahrstil entwickeln.

Den Sound auf ihren Veranstaltungen kreieren die Dachauer selbst - live und improvisiert. Ihr Tisch ist voll von Plattenspielern, Effektgeräten und Laptops. Fertige Listen mit Songs, die sie während einer Veranstaltung spielen, haben sie nicht. "Wir entscheiden das nach der Stimmung der Leute", sagt Westermeier. Songs auf Vinyl-Platten, die Westermeier über Jahre hinweg angesammelt hat, ergänzen neuere Lieder im digitalen Format. "Wir wollen die Dub-Musik verbreiten", erklärt Modjesch die Mission.

Sogar aus Bukarest oder Mexiko kommen Anfragen

Auch Live-Musiker gehören häufig zum Ensemble der Veranstaltungen. Sie stehen dann neben den DJs, trompeten, posaunen oder singen, während Lichtinstallationen die Wände der Locations lebendig erscheinen lassen. "Uns ist das Gesamtkunstwerk wichtig", betont Westermeier. Das Soundsystem ist für die Dachauer dabei mehr als nur ein Turm aus Musikboxen. Die Helfer an der Kasse, die Barleute, die DJs, das Publikum - sie alle sind Teil des Soundsystems. Ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, eine entspannte, aber doch energetische Atmosphäre, darum gehe es ihnen, betonen sie. "Von Rastas über Dancehall-Fans bis hin zu Musikliebhabern, bei unserer Veranstaltungen sind alle dabei", sagt Mayo. Wenn Modjesch, Westermeier und Mayo ihre Platten auflegen, dann thronen sie nicht über der Masse, wie das bei gewöhnlichen Club-Events der Fall ist. Sie stehen mitten im Publikum und sind ein Teil der Menge.

„Elemental Wave Soundsystem“

Das Soundsystem bringt die Beats mit mehr als 44.000 Watt auf die Ohren des Publikums.

(Foto: Elemental Wave Soundsystem)

Stundenlang sind die Dachauer an manchen Wochen auf den Straßen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz unterwegs. Ihr Elemental Wave Soundsystem ist gefragt. Sogar Anfragen aus Bukarest oder Mexiko erreichten sie. "Da wäre es allerdings günstiger gewesen, alle Gäste nach München zu fliegen, als die Transportkosten für das Soundsystem nach Mexiko zu bezahlen", sag Westermeier. Auch das international erfolgreiche DJ-Duo Schlachthofbronx suchte ein Soundsystem. Westermeier hatte eines. Seit zwei Jahren veranstalten sie nun regelmäßig eine gemeinsame Konzertreihe.

In den vergangenen elf Jahren ist für Robin Modjesch, Christian Mayo und Florian Westermeier viel passiert - ihr Lager wurde voller, die Veranstaltungen größer und die Transportfahrzeuge schwerer. Trotzdem sieht man sie noch immer mit ihrem Soundbike, einem Dreirad mit aufmontierten Boxen und Plattenspielern, durch Dachau flitzen. Den Dub-Sound ziehen sie dann wie eine bunte Schlange hinter sich her.

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