Kleine Altstadtgalerie Dachau:Kritisch Sehen

Heiko Klohn, Pawel Warchol, Florian Marschall und Nina Märkl bestreiten gemeinsam die wohl beste Ausstellung des Jahres in Dachau.

Wolfgang Eitler

Heiko Klohn zeichnet Birkenwälder, Lichtungen und zieht die Blicke hinauf in die Kronen. Dagegen gräbt sich Pawel Warchol in die Tiefe vergessener Bunkeranlagen, aber mit der gleichen Konzentration auf das Detail wie sein langjähriger Freund. Florian Marschall wiederum experimentiert mit dem Sehen und der Kunst der Auslassung. Seine Akte vervollständigen sich erst durch den Betrachter. Das, was man zu sehen erwartet, zeichnet er nicht.

Kleine Altstadtgalerie Dachau: Vier Positionen zum Thema Zeichnung und vier auch formal spannende Auseinandersetzungen mit der Geschichte dieses künstlerischen Metiers sind in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen - wobei Florian Marschall durch die Kunst der Auslassung besticht.

Vier Positionen zum Thema Zeichnung und vier auch formal spannende Auseinandersetzungen mit der Geschichte dieses künstlerischen Metiers sind in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen - wobei Florian Marschall durch die Kunst der Auslassung besticht.

(Foto: DAH)

Schließlich Nina Märkl. Sie verzichtet auf all die Techniken, mit denen ihre drei Kollegen arbeiten. Sie schraffiert nicht wie Klohn, sie schafft keine malerischen Strukturen wie Warchol, und sie geht nicht in die Fläche mit Hell-Dunkel-Effekten wie Marschall. Sie konzentriert sich allein auf die Kontur, auf die Linie, die alles können muss: Körper umreißen, Räume schaffen und ganze, fast schon theatralisch anmutenden Figurkonstellationen entwickeln.

Diese vier Dachauer Künstler - Warchol lebt zwar in Polen, sind der Stadt aber seit Jahrzehnten eng verbunden - haben sich zu einer Ausstellung in der Kleinen Altstadtgalerie zusammengetan, die mit Abstand die beste des Jahres 2011 ist. Denn Frank Donath zeigt in seinen Räumen, was für herausragende Zeichner in dieser Stadt leben und arbeiten. Er verdichtet seine Ausstellung auf markante Positionen der Zeichnung und ermöglicht auch einen Einblick in die handwerklichen Raffinessen dieser Kunstform. Vor allem aber verbindet die vier Zeichner ihr kritischer Blick. Man spürt, dass die Künstler Positionen einnehmen wollen.

Bei Nina Märkl schweben die Menschen, Fantasiegestalten und Gegenstände. Sie verlieren sich in einem Raum, der nicht definiert ist. Keine Fluchtlinie, keine Zentralperspektive gewährt Anhaltspunkte, die in die Bilder hineinführen. Auf diese Weise lotet die junge Dachauer Künstlerin, die auf dem Sprung zum ganz großen Erfolg ist und schon von namhaften Münchner Galerien vertreten wird, die Grenze ihres Metiers aus. Denn die Linie als Kontur eines Körpers braucht den mitdenkenden Betrachter, setzt dessen Fähigkeit voraus, den nicht gezeichneten Raum mitzusehen. Dieser Konsens scheitert. Märkl entwickelt aus dieser Haltung Szenerien der Ortlosigkeit, die als zeitkritische Diagnose verstanden werden können und die sich zu surrealen Phantasmagorien steigern.

Florian Marschall reflektiert auf die Aussagekraft grafischer Techniken. Sein Metier ist die Kunst der Auslassung. Seine Herausforderung, Akte zu zeichnen, ohne wirklich etwas zu zeigen. Das Unsichtbare wird zum Thema und damit die Frage nach Sinnlichkeit und Erotik, vielleicht schon nach der Würde der im Bild abgebildeten Frauen.

Pawel Warchol ist in Dachau mit seinen Maschinenbildern bekannt geworden, auch mit seinen an den Fotorealismus heranreichenden Porträts. Jetzt zeigt er Bunker als Orte des Vergessens und der Erinnerung zugleich. Es braucht im Sehen seine Zeit, bis sich aus diesen Orten der Dunkelheit Steine, Relikte von Kriegen und Inhumanität herausschälen. Diese Bilder sind Zentren des Gedächtnisses. Die Erinnerungen oder das Wissen um die Vergangenheit aktiviert sich im Sehen. Warchol ist ein Medium, dem sich stellvertretend für die Betrachter Orte und Geschichten erst im Akt des Zeichnens erschließen.

Damit ist er nicht weit entfernt von Heiko Klohn, der sich der Dachauer Tradition der Landschaftsmalerei annimmt. Er zeichnet, aus der Distanz betrachtet, fotorealistisch Bäume und Lichtungen. Klohn entdeckt die Neue Sachlichkeit für sich, die einst nur Otto Fuchs vertrat. In der gelassenen Konzentration auf Bäume, Äste und Lichtreflektionen entwickelt er seine Paysage intime, an der Grenze zum Undurchdringlichen. Ähnlich zu Nicolas Borns Gedichten von Landschaften in stiller Empörung. Seit einiger Zeit ist zu beobachten, wie die Auseinandersetzung mit der Landschaft zeitgenössische Künstler international beschäftigt. Klohn vermutet dahinter die Sorge um die Zerstörung. Auch sein Blick ist der eines Künstlers, der nochmals hinsieht. Dadurch wird jedes Bild zu einer Warnung. Nicht mit dem Fingerzeig, sondern durch eine Genauigkeit des Zeigens, die das Ausmaß der Bedrohung vergegenwärtigt. Diese Genauigkeit verbindet alle vier Künstler.

Die Ausstellung "Positionen der Zeichnung" ist noch bis Sonntag, 20. November, in der Kleinen Altstadtgalerie zu sehen. In einer kleinen Finissage am Sonntag, von 14 Uhr an, führen die Künstler durch ihre Ausstellung. Kleine Altstadtgalerie, Burgfriedenstraße 3, Öffnungszeiten: Donnerstag 18 bis 21 Uhr, Freitag 18 bis 20 Uhr und Sonntag 14 bis 16 Uhr.

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