Karlsfelder Gewerbegebiet:Auf gepackten Koffern

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Immer mehr Firmen spielen mit dem Gedanken, Karlsfeld zu verlassen. Sie haben keine Möglichkeiten mehr zu expandieren. Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht

Von Gregor Schiegl

Eine der seltenen guten Nachrichten aus dem Karlsfelder Gewerbegebiet: In das seit Jahrzehnten leer stehende Krone-Center kommt im Herbst wieder neues Leben. (Foto: DAH)

Fünf "gute Gewerbesteuerzahler" haben die Gemeinde Karlsfeld in den vergangenen fünf Jahren verlassen. Eine ganze Reihe weiterer mittelständischer Betriebe trägt sich mit ähnlichen Gedanken oder sitzt bereits auf gepackten Koffern. "Ich will nicht von einem Flächenbrand reden", sagt Karlsfelds Wirtschaftsfördererer Peter Freis. "Aber der Bestand ist ganz und gar nicht gesichert." Es brennt. Lichterloh. Freis versucht zu retten, was zu retten ist, doch viel ist das nicht. 61 Anfragen nach Gewerbeflächen bekam er 2013. Nur in zwei Fällen konnte er helfen.

Karlsfeld liegt direkt am Ortsrand zu München, hat eine direkte Autobahnanbindung, niedrige Hebesätze und eine hohe Lebensqualität - gute Rahmenbedingungen eigentlich. Aber was hilft das einem Unternehmer, wenn er sich dort nicht ansiedeln kann? Das nördliche Gewerbegebiet ist voll, im südlichen sind noch 23 000 Quadratmeter frei. Nutzbar sind davon lediglich 8000 bis 10 000 Quadratmeter. Und die sind durch geplante Firmenerweiterungen "de facto vergeben", sagt Freis. Auch der beste Makler kann nichts vermitteln, wenn er keine Objekte hat. Das schafft Frust. Von den Unternehmern muss Freis sich manchmal "harsche Worte" anhören. "Das hat mir schon manche schlaflose Nacht beschert."

Schon seit Jahren wird in Karlsfeld über die Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets diskutiert. Doch das Thema ist brisant. 2010 scheiterte ein Ratsbegehren von CSU und SPD für ein Gewerbegebiet im Grünzug zu Dachau. Dort besitzt die Gemeinde rund 13 Hektar eigene Flächen. Die Mehrheit der Wähler wollte aber nicht, dass diese natürliche Brücke zwischen westlichem und östlichem Dachauer Moos weiter verbaut wird. Das Vorhaben wurde gekippt. Vom Tisch ist es damit nicht. Viele Gemeinderäte in den Reihen von CSU und SPD sind der Ansicht, das heiße Eisen sei nun so weit abgekühlt, dass man es wieder anfassen kann. Nein, anfassen muss!

Die Gemeinde hat die Weichen dafür bereits gestellt. In einer Arbeitsgruppe sollen Bürger nach einer Lösung suchen, wie die klamme Gemeinde mehr Gewerbesteuereinnahmen generieren kann, ohne dass es wieder zu wütenden Protesten kommt. Die vorläufige Konsensformel lautet: Verdichtung vor Ausweisung. Das klingt vernünftig. Doch wie viel Potenzial zur Verdichtung gibt es in Karlsfelds Gewerbegebieten wirklich? In Karlsfeld stehen um die acht Prozent der Gewerbeflächen leer. Für einen Laien hört sich das nach viel an. Peter Freis nennt es einen "normalen Wert": In Gewerbegebieten herrscht ein Kommen und Gehen. Irgendwo steht immer mal was frei. Vorübergehend. So ist das überall.

Und wie wäre es, die Flächen beizubehalten und nur die Produktivität zu erhöhen? Mehr Menschen an einem Ort arbeiten zu lassen? Auch keine schlechte Idee, aber auch sie erweist sich für Karlsfeld nur als bedingt praxistauglich: Je mehr Menschen an einem Ort arbeiten, desto mehr Parkplätze müssen bereit gestellt werden. So verlangt es die Stellplatzsatzung der Gemeinde. Aber wo soll man die Stellplätze auf den begrenzten Flächen noch unterbringen? "Daran scheitert es in der Regel."

Ein anderer Lösungsansatz lautet "interkommunale Zusammenarbeit". Dafür macht sich vor allem Bündnis-Fraktionssprecherin Mechthild Hofner stark. Warum nicht gemeinsam mit einer anderen Kommune ein Gewerbegebiet betreiben? Das müsste dann auch nicht auf Karlsfelder Boden sein. In der Westallianz, einem Zusammenschluss von sechs Kommunen entlang der Autobahn A8, darunter auch Karlsfeld, gäbe es doch Partner?

Doch auch da gibt es im Rathaus erhebliche Zweifel an der Umsetzbarkeit: Wenn sich zwei Kommunen zusammentun, müssen beide etwas einbringen. Eine Gemeinde könnte das Grundstück stellen, die andere das Geld. Aber Karlsfeld fehlen nicht nur die Flächen, auch die Haushaltskassen sind leer. Die beiden Probleme hängen ja unmittelbar miteinander zusammen. Hofner schlägt deswegen vor, die Gemeinde könne ja ökologische Ausgleichsflächen für ein Gewerbegebiet einbringen. Karlsfelds Naturschützer hätten sicherlich nichts dagegen. Ob sich aber eine Partnergemeinde auf den Deal einlässt, die selbst genug Flächen hat, folglich auch Ausgleichsflächen? Fraglich.

Das Platzproblem ist nicht das einzige des Wirtschaftsstandorts Karlsfeld. "Es gibt keine gewachsene Struktur", beklagt der Wirtschaftsförderer, einen großen Gewerbeverband, der die Interessen des örtlichen Gewerbes bündele, gebe es nicht. Jeder werkelt allein vor sich hin. Organisation? Strategische Bündnisse? Synergien? Fehlanzeige. Das alles zusammenzuführen ist eine Mammutaufgabe." Daran arbeitet Freis bereits auf zahlreichen Ebenen, unter anderem mit dem Aufbau eines Netzwerks namens "Wir sind Karlsfeld". Viele andere Aufgaben bleiben dabei auf der Strecke. Standortmarketing zum Beispiel. "Es gibt gerade vorrangigere Aufgaben", sagt Peter Freis.

Als die Gemeinde 2008 erstmals einen Wirtschaftsförderer einstellte (Freis ist inzwischen schon der dritte), glaubten manche Gemeinderäte, sie holen sich einen Wunderheiler ins Haus. Einen, der den maladen Gewerbestandort Karlsfeld schnell wieder auf Vordermann bringen würde. Ein Irrtum. "Es ist nicht leicht, in Karlsfeld schnell etwas zu verändern", sagt Freis. Man sieht es an seiner Bilanz: sehr viel harte Arbeit und nur ein sehr magerer Ertrag.

"Es hat sich in den vergangenen Jahren erkennbar gar nichts geändert", sagt SPD-Fraktionssprecher Reinhard Pobel. Und fragt: "Wo sind die Konzepte?" Die Frage ist auch an Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) gerichtet. Qua Amt ist auch er Wirtschaftsförderer. Vielleicht sogar der wichtigere. An Kolbes Stelle antwortet der Zweite Bürgermeister Wolfgang Offenbeck (CSU), dass es in dieser Sache "keine einfachen Lösungen" gebe. Das ist für einen so klugen und eloquenten Mann wie Offenbeck ein bemerkenswert schlichter Satz. Es herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. Und Sorge. Große Sorge. "Ich befürchte einen Imageschaden für den Wirtschaftsstandort Karlsfeld, wenn sich der Ruf verfestigt, dass wir nicht handlungsfähig sind."

Handlungsfähigkeit setzt aber Spielräume voraus und für Spielräume braucht es Flächen. So beißt sich die Katze in den Schwanz. Karlsfeld steuert auf eine neue Standortdiskussion um ein neues Gewerbegebiet zu. Und auch wenn es nicht mehr zu solch hoch emotionalen Grabenkämpfen kommen sollte wie 2010: Reibungslos wegmoderieren lassen wird sich der Konflikt zwischen Belangen des Naturschutzes und wirtschaftlichen Notwendigkeiten wohl auch diesmal nicht.

© SZ vom 06.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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