Karlsfeld:Countdown zum Siedler- und Seefest

Die Siedlergemeinschaft Karlsfeld-Nord veranstaltet heuer bereits zum 60. Mal das wohl größte privat organisierte Volksfest Bayerns.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Die Schießbude steht schon, Blechfiguren ziehen friedlich ihre Bahn, dabei ist noch gar keiner da, sie umzuballern. Aber bevor das Karlsfelder Siedlerfest am Freitag losgeht, muss man ja schauen, ob alles reibungslos funktioniert, die Anschlüsse, das Wasser, der Strom. Etwa 50 000 Kilowattstunden werden Fahrgeschäfte, Buden und Festbeleuchtung während des zehntägigen Fests benötigen. "Das entspricht etwa dem Jahresverbrauch von drei Einfamilienhäusern", sagt Gerhard Proske. Er ist Vorsitzender der Siedlergemeinschaft Karlsfeld-Nord, die das wohl größte privat organisierte Volksfest Bayerns auf die Beine stellt, und das mittlerweile zum 60. Mal.

Um die Elektrizität auf dem Festplatz kümmert sich Proske selbst. Er ist 77, aber das sieht man ihm nicht an, das Haar ist angegraut, aber voll, der Händedruck kräftig. Zwei Männer in Arbeitshosen schlendern vorbei, der eine trägt einen Vorschlaghammer, der andere eine Leiter. Beide sind knapp 80. Es gibt noch Ältere, die hier auf dem Festgelände herumschrauben, hämmern, Kabel ziehen. Das Durchschnittsalter seiner 1100 Mitglieder starken Siedlergemeinschaft schätzt Proske auf etwa 70 Jahre, aber sie werkeln, als wären sie 50.

"Wer zusammen arbeitet, will auch zusammen feiern."

Nach dem Krieg mörtelten Karlsfelds Siedler ihre Häuser selbst auf. Alle halfen zusammen, viele hatten praktische Berufe, waren Maurer, Schreiner, Schlosser, Elektriker. Die teuren Gerätschaften für den Bau schaffte man gemeinsam an. Das war die Kernidee der Siedlergemeinschaft. Heute sparen die Siedler auf anderen Gebieten, durch Gemeinschaftsversicherungen zum Beispiel oder durch Großbestellungen von Heizöl, 120 000 Liter im Jahr. 1957 feierten die Siedler mit Freunden und Verwandten ein Sommerfest, drei Musiker der Jugendkapelle Sankt Anna spielten zum Tanz. "Wer zusammen arbeitet, will auch zusammen feiern", sagt der Chef der Siedlergemeinschaft, Gerhard Proske. Im Jahr darauf kam noch eine Tombola hinzu und ein Kinderkarussell. Mit einem Volksfest hatte das Ganze noch wenig zu tun.

Karlsfeld: Traditionell und zugleich international: Einzug der Volkstänzer beim Festzug zum Karlsfelder Siedler- und Seefest.

Traditionell und zugleich international: Einzug der Volkstänzer beim Festzug zum Karlsfelder Siedler- und Seefest.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das änderte sich 1967, als die Veranstaltung an den Karlsfelder See umzog und nicht mehr nur als Siedler-, sondern auch als Seefest fungierte. Statt einem Tag dauerte es erstmals acht und ging von Sonntag bis Sonntag. Es gab Boxkämpfe und Miniaturfeuerwerk, das sich ausgewachsen hat zu einem Brillantfeuerwerk, das bis zu 40 000 Zuschauer an den See lockt.

"Viele Leute denken immer noch, die Gemeinde organisiert das Siedlerfest", sagt Festreferentin Christa Berger-Stögbauer. Dabei ist es ein Festausschuss aus acht Leuten, der das ganze Jahr über das Fest vorbereitet. Ist ein Siedlerfest zu Ende, beginnen bereits die Vorbereitungen für das nächste. Die erste Anmeldung für das Siedlerfest 2017 liegt bereits auf Stögbauers Schreibtisch. Eine Kommune könnte das gar nicht leisten, glaubt sie, im Rathaus müsste man zwei Beamte in Vollzeit abstellen. In Zeiten, in denen die Gemeinde finanziell aus dem letzten Loch pfeift - unvorstellbar.

250 Bewerbungen kommen jedes Jahr

Was hinter der Organisation eines Volksfests mittlerer Größe steckt, können Laien sich kaum vorstellen. 250 Bewerbungen von Schaustellern und Fieranten gibt es jedes Jahr in Karlsfeld. Die müssen alle gesichtet und geprüft werden. 50 Betriebe werden ausgewählt, mit jedem muss man Verträge abschließen, Haftungsfragen klären, das ganze Pipapo, und darf bei all dem Kleinklein doch nicht die Übersicht über das große Ganze verlieren. "Man muss die richtige Mischung finden", sagt Christa-Berger Stögbauer. Für jeden Besucher sollte etwas dabei sein, wenigstens eine Attraktion sollte bei den Fahrgeschäften mit dabei sein. Dieses Jahr ist es der Breakdance: Auf einer rotierenden Scheibe drehen und neigen sich in Viergruppen angeordnete Gondeln. Es geht ziemlich rund. Nichts für Zartbesaitete mit nervösem Magen.

Christa Berger-Stögbauer ist eigentlich Lehrerin an einer Berufsschule. Um halb sechs muss sie raus. Oft ist die 59-Jährige schon nachmittags wieder auf dem Festplatz, abends auch, manchmal auch in der Spätschicht. Müdigkeit kennt sie nicht, eine Altersgrenze auch nicht. "Festreferentin zu sein, ist ein Lebenswerk", sagt sie. Den Festausschuss gibt es schon seit 1976. Die ersten fünf Jahre leitete ihn Erich Strobl, von 1981 bis zum Jahr 2000 war Fritz Berger der Chef, der Vater von Christa Berger-Stögbauer. Sie hat ihn geerbt wie ein Landwirt seinen Hof. Da arbeitet man auch, bis es nicht mehr geht. Und sie arbeitet hart. Man muss Verhandlungen führen und Verträge aufsetzen. Und hoffen, dass sie eingehalten werden. "Bis alle da sind, ist es immer ein großes Zittern", sagt sie. Als Verein darf die Siedlergemeinschaft keine Konventionalstrafe in die Verträge schreiben. Wenn ein Schausteller kurzfristig absagt, hat sie Pech gehabt.

Karlsfeld: Nicht nur Karlsfelder nehmen am festlichen Einzug teil: Gespann von Michael Heine aus Altomünster mit dem Kammerwagen des Museums.

Nicht nur Karlsfelder nehmen am festlichen Einzug teil: Gespann von Michael Heine aus Altomünster mit dem Kammerwagen des Museums.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Man kennt sich, man hilft sich

Viele kommen schon seit Jahrzehnten. Man kennt sich, man schätzt sich, man hilft sich. "Wir sind wie eine große Familie", sagt Berger-Stögbauer und lobt das "soziale Engagement" der Schausteller. Immer wieder gibt es Spendenaktionen: Geld für die Karlsfelder Bürgerstiftung oder Plüschtiere für syrische Flüchtlingskinder. Was nicht heißt, dass das hier ein Charity-Festival wäre. Bei einem Volksfest geht es um viel Geld. Die Stromrechnung muss die Siedlergemeinschaft vorstrecken und dem Landkreis muss sie den Gebührenausfall für den Parkplatz zahlen, macht noch mal 5000 Euro.

Dazu kommt der wachsende Verwaltungsaufwand, immer mehr Auflagen und Vorschriften. Das Ochsenrennen ist dieser Entwicklung bereits zum Opfer gefallen: Vom Impfzeugnis gegen Blauzungenkrankheit bis zum Schlachter, der bei einem Unfall zur Tat hätte schreiten müssen - das war dann doch etwas zu viel für die Organisatoren. Dafür gibt es andere, neue Dinge wie ein Fischerstechen zwischen Landrat Stefan Löwl und dem Bürgermeister Stefan Kolbe (beide CSU). Das wird mindestens ebenso lustig.

Das Programm: www.siedlerfest-karlsfeld.de

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