Karlsfeld:Zankapfel "Neue Mitte Karlsfeld"

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Der Ton der Auseinandersetzung wird schärfer: Die Initiativen sprechen von Wohnghetto, der Bürgermeister von Polemik.

Von Gregor Schiegl

Und das Gras wächst: Seit fast vier Jahren ist bereits Stillstand in der Baugrube für Karlsfelds Neue Mitte. (Foto: joergensen.com)

Heiß ist es. Die Sonne knallt auf den Parkplatz hinter dem Café Ihle. Zwei Motorradfahrer ziehen sich die Helme von den verschwitzten Köpfen. "Das ist der Wahnsinn." Das junge Pärchen staunt, man kann das in diesem Fall so sagen, Bauklötze. Die beiden Bürgerinitiativen "Ortsentwicklung Karlsfeld" und "So nicht" haben einen Stand aufgebaut, in dem sie die Pläne für das geplante Ortszentrum vorstellen - und warum sie finden, dass man es verhindern muss. Das Modell besteht aus Holzklötzchen, passenderweise. Aus ihrer Sicht wird das Areal an der Gartenstraße zugeklotzt mit einem Wohngebiet, die Chance auf eine echte Ortsmitte verbaut. Ein Dutzend Bürger steht um das kleine Zelt. Bis Mittag kommen etwa 180 bis 200 Bürger. Viele wollen nur schnell unterschreiben. Andere wollen sich erst mal anschauen, worum es hier eigentlich geht. An der Gartenstraße, wo nunmehr schon seit vier Jahren eine Baugrube klafft, soll endlich ein Ortszentrum entstehen: 220 Wohnungen, Tiefgaragen, ein großer Versorgungsmarkt, ein kleiner Platz, vielleicht mit einem Café, und ja, auch große Häuser. Das höchste mit acht Stockwerken.

Es ist die letzte Chance auf ein richtiges Zentrum, sagen die Gemeinderäte von CSU und SPD, (das Bündnis für Karlsfeld hat da eine andere Meinung). Für die Gegner wäre es "das Ende der Neuen Mitte". So sagt es eine resolute Anwohnerin. "Wir müssen die Neue Mitte verhindern, auf Teufel komm raus."

Die BIs sind kompromissbereiter. Genau genommen wollen sie ja nur den Bau der neuen "Neuen Mitte" verhindern. Denn in ihrem Begehren fordern sie, dass der alte Bebauungsplan in Kraft bleibt. Ein paar Hundert Stimmen haben sie schon zusammen, 128 sind neu dazugekommen. Für ein Bürgerbegehren bräuchten sie rund 1800. "Wir haben ja noch drei Wochen", tröstet sich Jochen Seyboth von der BI Ortsentwicklung. Dafür dass sie vorher 5000 Flyer an Karlsfelder Haushalte verteilt haben, ist Robert Isztl mit der Resonanz nicht so richtig zufrieden. "Ich hätte mir mehr erwartet." Andererseits: "Die Karlsfelder sind einfach zu träge, die muss man immer erst mal aufwecken."

Und zum Aufwecken braucht man Knaller. Zuspitzungen. Aufreger. Als "Wohnghetto" haben die BIs die neuen Pläne abgekanzelt, von "Billigbauweise" und "Klein-Manhattan" war die Rede, von "Verkehrschaos" und so viel Radau, dass sich die Leute in der Gartenstraße auf eigene Kosten Lärmschutzfenster werden einbauen müssen. Das Diskussionsklima ist erhitzt, obwohl die Vertreter der BI versichern, dass sie - eigentlich - gar kein Bürgerbegehren wollen. Es ist - noch - ein Druckmittel, um doch noch Gespräche mit Gemeinderat und Investoren zu erzwingen. "Wir sind ja kompromissbereit", sagt BI-Sprecherin Birgit Piroué. Eine Mischung aus dem alten und dem neuen Bebauungsplan, das wär's. Mit einem sechs- statt achtstöckigen Haus. Mit 150 statt 220 Wohneinheiten. Nur mal als Beispiel.

CSU-Gemeinderat Andreas Froschmayer und SPD-Gemeinderätin Anita Neuhaus haben sie den Vorschlag angeblich schon unterbreitet, damit sie ihn in ihre Fraktionen tragen. Die Erfolgsaussichten sind eher schlecht. Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) hat schon vor Wochen klargemacht, dass das Thema für ihn ausdiskutiert ist. In der SPD sind sie sich auch alle einig: Wir ziehen das jetzt durch. "Die haben nur Angst, dass sie wegen des Lochs nicht wiedergewählt werden", glaubt Piroué.

Der Kampf um die öffentliche Meinung ist schon in vollem Gange. In den Leserbriefspalten ist die Neue Mitte derzeit das zentrale Thema. Die Befürworter warnen, die Leute sollten sich erst mal informieren, bevor sie das Ansinnen mit einer Unterschrift zu unterstützen. In diese Phalanx reiht sich nun auch Bürgermeister Stefan Kolbe ein. Er wirbt für das Projekt. "Wir brauchen Wohnraum für unsere Bürger." Die Gegner bedienten sich "Polemik und unsachlicher Argumentation". Wer bei bezahlbaren, vernünftigen Wohnungen von "Ghetto" spreche, handele "überheblich und unfair". Ein Scheitern des Projekts wäre "für die gemeindliche Entwicklung fatal, da bereits heute erkennbar ist, dass Investoren den Standort Karlsfeld kritisch beurteilen". Die Planungen zu stoppen, kommt für ihn auch nicht in Frage. Da würden die Investoren abspringen. "Das ist Realität und keine Panikmache, wie von der BI behauptet. Was uns aber bleibt, ist die Baugrube." Und die will keiner.

Wie aggressiv die Auseinandersetzung ist, zeigt nicht nur die Wortwahl der BIs. Auch die Befürworter sind in der Wahl ihrer Mittel offenbar nicht zimperlich. Die BI berichtet, dass Geschäftsleute aufgefordert worden seien, die Unterschriftenlisten gegen die Neue Mitte nicht mehr auszulegen. Dem Vernehmen nach ließ eine Gemeinderätin sogar heimlich eine volle Unterschriftenliste mitgehen und kopierte sich die Namen. Inzwischen soll sie die Liste wieder zurückgegeben haben. Für die BI ist der Fall erledigt.

© SZ vom 15.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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