Karlsfeld:Sanfte Nähe

Ella Wassios begleitet den dementen Max Seidenspinnerseit Jahren im Alltag und hat trotz sprachlicher Barrieren einen persönlichen Zugang zu ihm gefunden.

Sophie Burfeind

Max Seidenspinner sitzt auf dem Sofa und schaut in ein Bilderbuch. Es ist eine Geschichte über eine Pinguinfamilie am Nordpol, die Ella Wassios ihm vorliest. Seine Hand hält sie dabei fest umschlungen. Die 66-Jährige kümmert sich seit drei Jahren als Seniorenbegleiterin um den 71 Jahre alten Mann, der unter einer schweren Parkinsonerkrankung und Demenz leidet. Zwölf Stunden im Monat kommt sie, um ihm vorzulesen und mit ihm zu singen - aber auch, um ihn zu füttern und die Windeln zu wechseln.

Karlsfeld: "Es macht mir unheimlich viel Spass", sagt Seniorenbetreuerin Ella Wassios. Mittlerweile hat sich eine enge Bindung zwischen ihr und dem an Parkinson erkranktem Max Seidenspinner entwickelt.

"Es macht mir unheimlich viel Spass", sagt Seniorenbetreuerin Ella Wassios. Mittlerweile hat sich eine enge Bindung zwischen ihr und dem an Parkinson erkranktem Max Seidenspinner entwickelt.

(Foto: joergensen.com)

Im Herbst hatte er einen Zusammenbruch, lag im Krankenhaus und wäre beinahe gestorben, sagt seine Frau Erika. Seit Oktober ist er wieder zu Hause und wird rund um die Uhr von einem Pfleger betreut. Er ist wie in einem Gefängnis eingesperrt, in seiner Sprachlosigkeit und seiner Parkinson-Erkrankung - er nimmt vieles wahr, aber kann sich nicht mitteilen.

Etwa zwölf Millionen Menschen in Deutschland sind 65 Jahre und älter, besonders im Landkreis Dachau steigt die Zahl der Hochbetagten und damit die Zahl der Pflegefälle. "Kaum jemand möchte seine letzten Jahre im Heim verbringen", sagt Eva-Maria Kutscherauer-Schall, Fachreferentin beim Dachauer Forum, "die meisten wollen daheim gepflegt werden." Daher kommen Laienhelfer wie von Nachbarschaftshilfen neben professionellen ambulanten Pflegediensten immer mehr zum Einsatz. Doch die Pflegekasse bezahlt nur qualifizierte Helfer - so auch zertifizierte Seniorenbegleiter.

Ella Wassios hat eine solche Ausbildung vor vier Jahren bei der Caritas in München abgeschlossen. Auch andere soziale Hilfsorganisationen bilden bundesweit Seniorenbegleiter aus. Seit zwei Jahren wird der Kurs in Dachau angeboten, ein Kooperationsprojekt von Caritas, Dachauer Forum und Landratsamt. 17 Teilnehmerinnen fanden sich zum ersten Kurs im vergangenen Jahr ein, die nächste Ausbildung findet von Januar bis November 2012 an elf Kurstagen statt.

Die Seniorenbegleitung soll ältere und hilfebedürftige Menschen in ihrem Alltag unterstützen. Das sind meist kleinere Hilfstätigkeiten, wie Einkäufe erledigen, gemeinsame Spaziergänge unternehmen und sich mit den älteren Menschen beschäftigen. "Wir sind keine Altenpfleger", betont Ella Wassios.

Dennoch ist die Ausbildung "Dreiteilige Qualifizierung Schwerpunkt Demenz" durchaus praxisorientiert: Neben Theorieseminaren zu Krankheitsbildern im Alter, Kommunikation oder rechtlichen Grundlagen, stehen die Einweisung in Pflegehilfsmittel, ein 20-stündiges Pflegepraktikum sowie das Erlernen bestimmter Griffe und Fertigkeiten auf dem Programm.

Die gelernten Griffe kann Ella Wassios regelmäßig anwenden, wenn sie Max Seidenspinner ins Bett bringt oder mit ihm den Toilettengang erledigt. "Mittlerweile ist er schon ein schwierigerer Fall", gibt sie zu, "in der Regel beschränkt sich die Tätigkeit der Seniorenbegleiter auf einfache Hilfeleistungen." Doch die Karlsfelderin hatte bereits jahrelang Mutter und Tante gepflegt und so genügend Erfahrung, um den Parkinsonkranken zu betreuen.

Zu den Seidenspinners kommt Ella Wassios ehrenamtlich, sie erhält lediglich eine Aufwandsentschädigung. Eingesetzt wird sie von der Caritas. "Der Grund für viele unserer Teilnehmer, eine Ausbildung zum Seniorenbegleiter zu beginnen, ist ein Pflegefall in der Familie", sagt die Fachreferentin. Sonst seien es oft Familienangehörige oder Partner, die qualifizierte, aber bezahlbare Kräfte für ein hilfebedürftiges Familienmitglied suchten.

Das war der Fall bei der Karlsfelderin Erika Seidenspinner, die sich politisch engagiert und daher oft in Abendveranstaltungen eingebunden ist. Sie benötigte eine verlässliche Person, die sich um ihren Mann kümmert, wenn sie außer Haus war. Mit Frau Wassios fand sie damit die Richtige: "Ich bin sehr zufrieden mit ihr und ich kann ihr voll vertrauen."

Als Erika Seidenspinner ihren Mann einmal nicht allein ins Bett habe bringen können, sei Wassios sogar mit Lockenwicklern auf dem Kopf zu ihr geradelt, um ihr zu helfen. Man merkt, Ella Wassios ist Seniorenbegleiterin aus Überzeugung und Leidenschaft: "Es macht mir unheimlich viel Spaß. Und mittlerweile habe ich eine sehr enge Bindung zum Herrn Seidenspinner". Die zeigt sich, wenn beide einträchtig und händchenhaltend auf dem Sofa im Wohnzimmer der Seidenspinners sitzen und sich mit der Pinguinfamilie beschäftigen.

Ein Informationsabend findet am Donnerstag, 24. November, um 18 Uhr im Landratsamt Dachau statt. Anmeldungen beim Dachauer Forum unter 08131/ 99 68 80.

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