Verkehrsunterricht für Flüchtlinge:Mit Handzeichen, aber ohne Handy

Verkehrsunterricht

Peter Reiz vom Fahrradclub ADFC erklärt Karlsfelder Flüchtlingen deutsche Verkehrszeichen, damit sie als künftige Radfahrer sicher ihren Weg finden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Sicherheit durch Information: Experten schulen Flüchtlinge in Verkehrserziehung und geben ihnen Tipps für den Gebrauch von Fahrrädern in Karlsfeld.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Wie der Hauptpreis einer Tombola steht es in der Ecke des Konferenzraums im Karlsfelder Bürgerhaus: ein nagelneues Fahrrad, blank geputzt, mit ergonomischen Griffen, Bremsen, Licht und nicht zu vergessen einer Klingel. "Nicht jedes Rad hat eine Klingel", doziert Peter Reiz auf Englisch. "Aber eine Klingel ist wichtig." Zum Beispiel, wenn man Fußgänger überholen will. Überhaupt die Kommunikation. "Achten Sie auf eine klare Körpersprache und geben Sie Handzeichen", sagt Reiz. "Wenn die anderen nicht wissen, was sie vorhaben, wird's schwierig."

Der Experte vom Radclub-ADFC gibt gemeinsam mit Gerd Brenneisen vom TSV Eintracht Karlsfeld Verkehrsunterricht. Die Schüler - heute sind es 16 - sind Erwachsene von weit her, aus Nigeria, Pakistan, dem Senegal. In Deutschland fährt man rechts, in Pakistan links. Und Fahrradwege: "So was gibt es nicht bei uns in Gambia", sagt ein junger Afrikaner. In Deutschland ist alles bis ins Kleinste durchorganisiert, vor allem im Straßenverkehr. "Ich finde das gut", sagt der Mann.

Hunderte von Verkehrszeichen, Verbote, Gebote, Ausnahmen

Nur ist hier eben alles ein bisschen kompliziert. Die deutsche Straßenverkehrsordnung kennt Hunderte von Verkehrszeichen, Verbote, Gebote, Ausnahmen. Selbst die Einheimischen kennen kaum alle Vorschriften im Detail, oft kümmern sie sich auch gar nicht darum. Sie fahren, wie es ihnen gerade passt. Und was machen Leute, die sich in einer fremden Umgebung erst zurechtfinden müssen? Genau, sie schauen, wie es die Einheimischen machen. Nur machen die eben vieles schlecht vor oder schlicht falsch. Sie radeln ohne Licht im Dunkeln, fahren auf dem Radweg in die falsche Richtung oder sausen bei Rot noch schnell über die Ampeln.

Peter Reiz hat einige Verkehrszeichen in Farbe ausgedruckt und an eine Metalltafel geheftet. Es sind die wichtigsten Schilder, die einem Radfahrer in Karlsfeld begegnen können: Fußweg mit Freigabe für den Radverkehr, getrennter Fuß und Radweg, kombinierter Fuß und Radweg, Radweg in eine oder in beide Richtungen. Viele nicken zu den Ausführungen, sie sind hier, um etwas zu lernen. Doch mancher runzelt auch still die Stirn und denkt sich seinen Teil, weil es diese Deutschen doch arg kompliziert machen mit dem Radfahren, mit ihren gestrichelten und durchgezogenen Linien. Radfahren scheint in Deutschland eine Wissenschaft für sich zu sein.

"Benutzen Sie das Handy nicht im Straßenverkehr"

Peter Reiz und Gerd Brenneisen geht es nicht um Belehrung oder gar Bevormundung der Neuankömmlinge, auch wenn der Titel "Verkehrsunterweisung" etwas lehrerhaft anmutet. "Die Leute haben nicht 5000 oder 6000 Kilometer zurückgelegt, um bei uns überfahren zu werden", sagt Peter Reiz. Das ist im gesamten Landkreis nach allem, was man weiß, zum Glück bisher noch keinem Flüchtling zugestoßen. Aber in Karlsfeld ist die Gefahr, im Verkehr zu verunglücken, deutlich höher als in Gemeinden wie Weichs. Das liegt an der Größe des Ortes, an der Dichte des Verkehrs. Die vierspurige Münchner Straße durch Karlsfeld ist der Hauptunfallschwerpunkt des ganzen Landkreises. Häufig trifft es hier auch Radfahrer, die mit ein- und ausfahrenden Autos kollidieren. Dabei werden manche schwer verletzt.

Während der Unterrichtsstunde summt ein Handy unter dem Tisch, es geht zu wie in einer Schulklasse. Gerd Brenneisen nutzt den kleinen Zwischenfall, um die Flüchtlinge zu ermahnen. "Benutzen Sie das Handy nicht, wenn Sie im Straßenverkehr unterwegs sind. Es kann Sie Geld kosten - oder das Leben. Als Fahrradfahrer braucht man manchmal vier Augen: zwei vorne, zwei hinten." Da kann man nicht gleichzeitig aufs Display schauen, auch wenn die Versuchung groß ist: Das Handy ist für Flüchtlinge der Draht in die Heimat, das Tor zur Welt der Nachrichten. Es ist Familienalbum. Und es ist Ablenkung. Reiz und Brenneisen versuchen den Flüchtlingen ein Gespür für die Gefahren des dichten Karlsfelder Straßenverkehrs zu geben.

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"Und seien Sie bitte pünktlich!" Gerd Brenneisen hadert manchmal mit der Disziplin seiner Schüler.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die entscheidende Botschaft: Seien Sie vorsichtig

Ob die Flüchtlinge immer alles im Detail verstehen, ist fraglich. Aber die entscheidende Botschaft ist klar, weil Peter Reiz sie ständig wie ein Mantra wiederholt. "Be carefully!", sagt er in nicht ganz korrektem Englisch. "Seien Sie vorsichtig!" Die Flüchtlinge nicken brav. Am Ende der Stunde gibt es einen schriftlichen Test: Nach der Auswertung wird man sehen, was vom Stoff wirklich hängengeblieben ist.

Das Konzept haben sich Brenneisen und Reiz selbst erarbeitet und nach deutscher Manier bestens durchgeplant. Die Disziplin der Schüler lässt allerdings oft zu wünschen übrig. In der letzten Stunde saßen anfangs nur sieben Flüchtlinge an den Tischen, am Ende waren es 28. "Sie tröpfeln peu à peu ein", sagt Gerd Brenneisen. "Das ist nicht unser Unterrichtsverständnis." Nächstes Woche geht es trotzdem wie geplant weiter, Thema: Reparatur von Fahrrädern. "Und seien Sie bitte pünktlich!"

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