Karlsfeld:Eine Heimat für viele Nationen

Nach dem Krieg hat Karlsfeld deutsche Vertriebene aufgenommen, später Gastarbeiter und jetzt Flüchtlinge

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Keine Gemeinde im Landkreis hat in den vergangenen Jahrzehnten so viele Menschen aus anderen Ländern und Kulturen aufgenommen wie Karlsfeld. Die Integration der Ausländer in der Gemeinde, in der etwa 30 Prozent einen ausländischen Pass haben, darf man als gelungen bezeichnen. "Viele sind de facto Deutsche", sagt Venera Sansone, die für die SPD im Gemeinderat Karlsfeld sitzt. Zum Teil seien die Nachkommen der Einwanderer nicht nur integriert, sondern schon regelrecht assimiliert. Ihrer eigenen Tochter Chiara versucht sie, Italienisch beizubringen. Es ist die Sprache ihrer Großeltern, die vor 50 Jahren als Gastarbeiter nach Karlsfeld kamen. Der Erfolg ist mäßig. Manchmal seufzt sie: "Kind, das Einzige, was an dir noch italienisch ist, ist der Name."

Die meisten Karlsfelder mit ausländischen Wurzeln sind längst selbstverständlicher Teil der Gemeinde. Das ist nicht nur ein subjektiver Eindruck. Auch die Rathausverwaltung konnte dem Gemeinderat nach eingehender Prüfung wichtiger Kennzahlen jüngst mitteilen: "Wir sind gut aufgestellt." Großen Anteil daran haben die ausländischen Karlsfelder selbst: Mit ihren Vereinen haben sie ein leistungsfähiges Netzwerk geschaffen, das es auch nachziehenden Landsleuten erleichtert, sich in der Gemeinde am Rande von München schnell heimisch zu fühlen: Es gibt italienische Verbände wie den christlichen Arbeitnehmerverein ACLI, die Associazione Muro Lucano, es gibt die Griechische Gemeinde, den türkischen Elternverein, den Club Français, im Gemeinderat sitzen zwei italienische Karlsfelder: außer Venera Sansone auch noch CSU-Gemeinderat Pietro Rossi.

Dessen Fraktion hatte den Antrag gestellt, man möge einmal die Situation der Ausländer in Karlsfeld näher in den Blick nehmen. Reichen die Wohnungen? Wie steht es um die Sicherheit? Begehen Karlsfelder mit ausländischem Pass mehr Straftaten als die deutschen? Die wenig überraschende Antwort: Der Pass spielt überhaupt keine Rolle, die Kriminalitätsrate ist bei beiden Gruppen gleich hoch.

Mit diesem unspektakulären Ergebnis ist Antragsteller Stefan Handl "völlig zufrieden". Ziel des Antrags sei es ja gewesen, "Bewusstsein zu schaffen, dass wir es mit einer großen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe zu tun haben". Der Antrag schlummert schon seit fünf Jahren in den Rathausschubladen. "Aber jetzt hat die Thematik eine völlig neue Dimension bekommen", sagt Handl. Karlsfeld hat 280 Flüchtlinge aufgenommen. Bald sollen es 500 sein. Bündnis-Fraktionschefin Mechthild Hofner weist auf einen neuen Grad der Herausforderung hin. "Bisher hatten wir eine europäische Integration." Jetzt gehe es um Menschen ganz anderer Herkunft.

Es ist die dritte Integrationswelle in Karlsfeld: Die erste gab es nach dem Krieg. Mehr als 600 Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten strömten damals in das kleine Straßendorf. Die wirtschaftliche Lage war katastrophal. Die Vertriebenen leisteten viel für den Aufbau des Ortes. Bis heute wirkt die Erfahrung der Entwurzelung nach: Die Familiengeschichte ist für viele Karlsfelder Motivation, sich jetzt im Asylhelferkreis zu engagieren.

Die zweite große Einwanderwelle kam in den Sechziger und Siebziger Jahren. Viele Gastarbeiter aus Italien und der Türkei suchten ihr Glück in den Großbetrieben des Münchner Nordens. Außerdem flüchteten viele Griechen vor der Militärdiktatur. Damals kamen so viele nach Karlsfeld, das die Gemeinde sogar einen rechtswidrigen Aufnahmestopp für Griechen verhängte. Begründung: So viele Ausländer könne man nicht integrieren. Von den 280 Flüchtlingen, die jetzt in einer Traglufthalle in Karlsfeld untergebracht sind, werden aber wohl die wenigstens bleiben können. Sie kommen aus Ländern, wo Armut herrscht, die aber als politisch vergleichsweise stabil gelten.

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