Karlsfeld:Der Neue-Mitte-Thriller

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Im Bürgerhaus war kaum noch ein Platz frei: Die Karlsfelder erwarteten mit Spannung, was sich die neuen Investoren für ihr Zentrum ausgedacht haben.

Gregor Schiegl

1970 hatten die Gemeinderäte in der verschlafenen Münchner Randgemeinde Karlsfeld eine tolle Idee. Der zersiedelte Ort braucht ein Ortszentrum. Es gab einen städtebaulichen Wettbewerb und große Pläne. "42 Jahre später hat sich nicht viel weiterentwickelt", sagt Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). "Bis auf eine Baugrube."

Bürgermeister Stefan Kolbe und das Investorenteam stellen die aktualisierten Pläne für die Neue Mitte vor. Von links nach rechts: Landschaftsarchitekt Andreas Hautum, Architekt Johann Spengler, Bürgermeister Stefan Kolbe, Klaus Laminet von der Projektentwicklungsgesellschaft Investa, Reinhard Mittmann, Geschäftsführer der HI Wohnbau GmbH,  HI-Prokurist Stefan Endres und sein Kollege von der Investa Kilian Kasperek sowie der Bauamtsleiter der Gemeinde Günter Endres. (Foto: joergensen.com)

Um die geht es am Montagabend im Karlsfelder Bürgerhaus. Denn die berühmteste Baustelle des Landkreises hat neue Besitzer, die Projektentwicklungsgesellschaft Investa und den Bauträger HI Wohnbau GmbH. Und beide haben große Pläne für die Neue Mitte. Neue Pläne, die aber an Altes anknüpfen. Der Gemeinderat hat den Investoren zur Bedingung gemacht, dass das alte Konzept des glücklosen Vorbesitzers, der Hamburgischen Immobilien Handlung HIH, sich in den neuen Planungen wiederfindet. Man könnte auch sagen: Die neuen Investoren hatten den Auftrag erhalten, davon zu retten, was noch zu retten ist.

All zu viel ist es nicht, was schon allein der Umstand zeigt, dass der bestehende Bebauungsplan nicht einfach geändert wird, sondern das Verfahren noch einmal ganz neu aufgerollt werden muss. Vertraut wirkt nur noch der Bauabschnitt mit dem großflächigen Einzelhandel an der Gerhart-Hauptmann-Straße. Als Solitär steht nun ein achtstöckiges Gebäude zentral auf dem Areal. Als Johann Spengler vom Münchner Büro Steidle Architekten diesen Teil vorstellt, geht ein entsetztes Raunen durch die Menge, dabei gab es diese Landmarke in den alten Planungen auch schon - als markantes Entree zu einem großen Platz.

Und da beginnen die wirklich dramatischen Veränderungen: Der Platz ist nun von 3100 auf 2300 Quadratmeter zusammengestutzt und Richtung Gerhart-Hauptmann-Straße gerückt. Ebenfalls neu: Er soll zugleich als Durchgangsstraße dienen - damit es genug Kunden für die Händler gibt. Doch da regt sich massive Kritik. "Warum bringen Sie uns noch mehr Autos?", fragt ein Anwohner. "Wer denkt an uns?" Es gibt an diesem Abend noch mehr Wortmeldungen dieser Art. Wortmeldungen, aus denen die Sorge spricht, dass dort ein hübsches Wohngebiet hinstellen könnte mit 200 Eigentumswohnungen, der ganze Lärm und Dreck aber bei den Nachbarn abgeladen werden könnte.

An manchen Stellen wirken die neuen Pläne tatsächlich noch etwas bezugslos zur Umgebung. Die ursprüngliche Planung, die Rathausstraße in einer Achse nach Süden zu verlängern, wurde aufgegeben. Stattdessen setzt sich die Rathausstraße erst nach einem großzügigen Knick über die Gartenstraße fort - über den Platz der Neuen Mitte. Er markiert nun die Grenze zwischen Wohnen auf der einen und großflächigem Einzelhandel auf der anderen Seite. Im alten Konzept waren die Nutzungen bewusst gemischt, des urbanen Charakters wegen. Die Verschwenkung der Rathausstraße hat freilich ihre städtebauliche Schwäche: Der benachbarte Marktplatz mit seinen Geschäften wäre damit abgehängt.

Vieles, was nun anders ist, erklärt sich aus dem vorangegangenen Debakel. "Die HIH kam mit Vermarktung von kleinteiligem Einzelhandel nicht voran", sagt Architekt Spengler, der schon unter HIH die Mitte plante. Also wurde der kleinteilige Einzelhandel unter den neuen Investoren heruntergeschraubt auf 1300 bis 1500 Quadratmeter. Probleme gab es auch mit der geplanten großen Tiefgarage. "Es ist ein riesiger technischer Aufwand, die Brandschutzauflagen zu erfüllen", sagt Spengler. Deswegen gibt es nun mehrere kleinere statt einer großen Tiefgarage. Die Büroflächen sind komplett gestrichen, die Nachfrage dafür fehlt. Ganz im Gegensatz zu den Wohnungen. Die gehen immer.

Bei größerer Nachfrage können wir auch mehr Geschäfte unterbringen", sagt Reinhard Mittmann, Geschäftsführer der HI Wohnbau GmbH. Das Konzept sei da flexibel - in beide Richtungen. Schließlich sei es doch besser, eine Wohnung zusätzlich zu haben als einen leerstehenden Laden. "Das tut so einem Ort ja auch nicht gut." Doch manche Bürger sind skeptisch, ob mit dem neuen Konzept am Ende nicht doch "nur ein Wohngebiet mit Aldi und Tengelmann" herauskommt. "Wenn Sie heute ein Inserat für eine Wohnung in die Zeitung setzen, haben Sie die doch zehnmal verkauft, bevor Sie auch nur einen Interessenten für eine Ladenfläche bekommen."

Bereits Ende Juni will die Gemeinde den Aufstellungsbeschluss fassen. Spätestens Mitte 2013 wollen die Investoren loslegen. "Die Zeitschiene ist sehr ambitioniert", sagt der Bürgermeister. Das hat auch rechtliche Gründe. Im Kaufvertrag mit der HIH gibt es ein Rücktrittsrecht. Wenn es bis zu einer bestimmten Frist keinen rechtsgültigen Bebauungsplan gibt, könnten Investa und Wohnbau noch raus aus dem Vertrag. Und Karlsfeld hätte wieder nur eine Baugrube.

© SZ vom 20.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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