Kabarett:Der Zwang zu wählen

Kabarett: "Jährlich erleben wir eine Flüchtlingswelle von 32 000 unbegleiteten Deutschen, die bei uns studieren wollen." Der Wiener Kabarettist Alfred Dorfer in Dachau.

"Jährlich erleben wir eine Flüchtlingswelle von 32 000 unbegleiteten Deutschen, die bei uns studieren wollen." Der Wiener Kabarettist Alfred Dorfer in Dachau.

(Foto: Heigl)

Alfred Dorfer setzt im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus die intellektuelle Irritation als Mittel der Aufklärung ein

Von Viktoria Großmann, Dachau

Alfred Dorfer ist ein fürsorglicher Kabarettist: Er gibt Tipps für die Kindererziehung, das Überleben der Midlife-Crisis - nicht Motorradfahren! - und auch zum Umgang mit seinem Bühnenauftritt. Er gibt Zeichen, wenn aus dem Publikum, ein leicht empörtes "Na, na, na" zu hören sein darf und kritisiert sein Stück "und . . . " am Ende nach dem ersten Applaus im vollbesetzten Erchana-Saal im Ludwig-Thoma-Haus Dachau gleich selbst. Als Bühnenstück darf man das neue Programm schon bezeichnen. Der Wiener tritt in mindestens neun verschiedenen Rollen auf: als Dorfer, als Business-Mensch, als deutscher Theaterdirektor, als Journalist des Dingolfinger Abendblatts, als deutscher Akademiker im universitären Mittelbau, als Chinese, als russischer Mafioso, als die eigene Mutter und als sein jüngeres und sein älteres Selbst. Vielleicht sind es noch mehr, bei Dorfers Tempo kann man schon mal den Überblick verlieren.

Sechs Jahre war Dorfer zuvor mit seinem Programm "bis jetzt solo" unterwegs, 2016 erhielt er den Deutschen Kabarettpreis des Nürnberger Burgtheaters, in diesem Jahr stellte er sein neues Werk vor, Regie hat sein Kollege, Theater- und Filmschauspieler Erwin Steinhauer geführt.

Am Ende geht Europa ins Altersheim. Ägypten fragt Europa, das am Esstisch beim Kompott sitzt, ob es ähnlich Bleibendes hinterlasse wie die Pyramiden. Dorfer sieht da schwarz. Der Tagespolitik, so sagte er es kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, "kann man nimmer hinterherlaufen". Es geht also nicht um Trump und Erdoğan, um Schulz und Merkel, es geht um die Demokratie, um Freiheit - als Zwang, zu wählen -, um Respekt, Toleranz, westliche Werte und die freie Presse. Diese vergleicht Dorfer mit dem Weihnachtsmann: "Soll ich dem Buben dieses Jahr schon sagen, dass es ihn nicht gibt? Ach was, ich wart' noch ein Jahr." Demokratieerziehung findet beim Kindergeburtstag statt und irgendwo zwischen dem Gespräch mit dem philosophierenden chinesischen Koch und Dorfers Betrachtungen über die Unmöglichkeit, beim Croissant-Essen das Bröseln zu vermeiden, fällt der Satz: "Jemand, der nicht mit einer Lehrerin, einer Polizistin, einer Ärztin spricht, weil sie eine Frau ist, der hat hier nichts verloren." Stille im Publikum. Dorfer sagt: "Lassen wir doch diese Rechts-Links-Scheiße!" Erleichterter Applaus. Weiter geht's mit den Bröseln und der Erkenntnis, dass das Alter dann erreicht ist, wenn sich keiner mehr über die Brösel beschwert.

Verunsicherung gehört dazu. Man weiß nie so richtig, woran man bei Dorfer ist und manchmal fragt man sich, ob es einen roten Faden gibt. Es gibt ihn. Dorfer, Jahrgang 1961, der mit Ende 40 über das Thema "Satire in restriktiven Systemen Europas im 20. Jahrhundert" promovierte, inszeniert, moderiert, schreibt. Ein Profi. Ein Vertrauter: Schon im Film "Indien", für den sich Josef Hader und er jeweils ihre Rollen auf den Leib schneiderten, war er der dynamische, vegetarisch lebende Yuppie. In Blue Jeans, schwarzem Pulli und Chucks turnt er über die Bühne, steht kaum je still. Die Rolle des philosophierenden Besserwissers steht ihm immer noch gut. Verlässlich deckt er auch im neuen Programm Sprachbarbareien auf - die er meistens im deutschen Deutsch entdeckt und vor der es das österreichische Deutsch zu bewahren gilt. "Vor Ort" etwa, wo doch völlig klar sei, dass jemand "am Ort" ist.

Das Publikum im Ludwig-Thoma-Haus folgt Dorfers Wendungen gern und bedankt sich mit gelöstem Gelächter. Er führt auf Abwege und in Untiefen. Aber kriegt letztendlich mit Bravour die Kurve. Bei der Politik kann man sich da ja nicht so sicher sein.

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