Jugendwort des Jahres:Ausgesprochen jung

Lesezeit: 5 min

"Ibims" ist 2017 das von Jugendlichen meist verwendete Wort, so der Langenscheidt-Verlag. Doch fragt man Dachauer Schüler danach, schütteln sie den Kopf. Sie haben andere Ausdrücke gefunden

Von Jacqueline Lang

Worte. Mit ihnen drücken wir aus, was wir fühlen, was wir denken und beschreiben, was wir sehen oder hören. Wörter. Ebenso wie die Welt, in der wir leben, hat sich im Laufe der Zeit die Sprache verändert. Neue Ausdrücke sind hinzugekommen, andere in Vergessenheit geraten. Vor allem Jugendliche sind bekannt für kreative Wortneuschöpfungen. Aber welche Begriffe sind gerade im Trend? Und gibt es wirklich dieses eine Jugendwort, das alle benutzen?

I bims

Auf Spurensuche am Ignaz-Taschner Gymnasium in Dachau: "Das sind Wörter, die niemand benutzt", sagt Niklas, 17, aus der zwölften Klasse. Er meint napflixen, Teilzeit-Tarzan, schatzlos und tinderjährig. Sie alle waren bei der diesjährigen Wahl zum Jugendwort des Jahres unter den Top 10. Am Ende hat I bims (bewusste Falschschreibung von Ich bin es) den ersten Platz belegt, auch wenn es sich dabei streng genommen natürlich um zwei Wörter handelt. Niklas und seine Klassenkameraden sind sich dennoch einig: Niemand in ihrem Alter spricht so. Einige der Begriffe verwende man gelegentlich im Scherz, von anderen kennen die Schüler nicht einmal die genaue Bedeutung. Napflixen bedeutet, beim Schauen des Internet-Streamingdiensts Netflix einzunicken, ein Teilzeit-Tarzan ist jemand der sich hin und wieder wie ein Affe benimmt, schatzlos ist ein Mensch ohne Partner und tinderjährig ist man, wenn man alt genug ist, um die Dating-App zu nutzen. Wieder was gelernt?

Merle, 16, ist in der zwölften Klasse des Ignaz-Taschner Gymnasiums. (Foto: Toni Heigl)

Der Langenscheidt Verlag nominiert seit 2008 das Jugendwort des Jahres. Zu Beginn ist die Wahl offen und jeder darf etwas vorschlagen, in einem weiteren Schritt wird abgestimmt. Die zehn Wörter mit den meisten Stimmen landen im Anschluss bei einer unabhängigen Jury, die sich zum Großteil aus Youtubern und Schülern, alle nicht älter als Mitte 20, zusammensetzt. Einzige Ausnahme: In diesem Jahr sitzt auch der 35-jährige Sprachwissenschaftler Markus Kunzmann mit in der Jury. Für ihn stand der Favorit schnell fest, nachdem seine kurze Online-Recherche ergab, dass I bims zumindest online tatsächlich häufig verwendet wird. Gleichzeitig betont er: "Langenscheidt hat nicht den Anspruch, dass es sich dabei um eine wissenschaftliche Erhebung handelt".

Die vong-Sprache des österreichischen Rappers Money Boy

Durchgesetzt haben sich die meisten Begriffe bislang tatsächlich nicht. Kunzmann, Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die sogenannte Jugendsprache - Jugendwort hin oder her - trotzdem als Teil einer sprachlichen Entwicklung. "Ein Phänomen wie den Sprachverfall gibt es nicht", betont Kunzmann. Sprache befinde sich vielmehr im ständigen Wandel, deshalb findet er die sogenannte vong-Sprache zu der auch I bims zählt, auch aus wissenschaftlicher Sicht höchst spannend.

Florian, 14 spricht eigentlich ganz normal. (Foto: Toni Heigl)

Erfunden hat die vong-Sprache der österreichische Rapper Money Boy. So richtig bekannt geworden ist sie aber erst durch Sebastian Zawrel, im Internet besser bekannt als Willy Nachdenklich. Er hat aus Spaß mit der Facebook-Seite "Nachdenkliche Sprüche mit Bilder" angefangen. Dort postet er Bilder mit Sprüchen wie "Der Novenber ist die Depresson der Natuhr vong Wetter her gesehen". Es soll eine Parodie auf Sinnbilder sein, die ebenfalls schon seit längerem im Netz kursieren. Aktuell ist Zawrel mit seinem Buch "1 gutes Buch von Humor her" sogar auf Tour. Doch Teenager im Publikum? Fehlanzeige. Die Fans seien größtenteils zwischen 20 und teilweise sogar 50 Jahre alt, schätzt Zawrel. Ihn selbst überrascht das wenig, denn er ist Anfang 30 und beschreibt in seinen Texten seine Lebenswelt - und eben nicht die eines 15-Jährigen. Dass I bims zum Jugendwort 2017 gewählt wurde, hat selbst er am Tag der Bekanntgabe nur durch Zufall über Dritte erfahren. Er nimmt den Hype, von dem er selbst wohl am meisten profitiert, gelassen.

Die 16-jährige Ruth schreibt das Wort Safe an die Tafel. (Foto: Toni Heigl)

Zurück im Klassenzimmer der zwölften Klasse: Dort überlegen die Schüler gerade, welche Wörter jeder von ihnen benutzt. Man einigt sich nach langem hin und her auf madig und safe. Madig bedeutet so viel wie doof und safe übersetzt man wohl mit "sicherlich, auf jeden Fall" ins Deutsche. Diese Wörter benutzt in der zwölften Klasse des Taschner-Gymnasiums jeder. Die neunte Klasse des nicht weit entfernt gelegenen Effner-Gynasiums hingegen findet, das madig längst out ist. "Das sagt doch niemand mehr", so Dennis, 15. In seiner Klasse einigt man sich auf SWAG und Diggah. SWAG bedeutet so viel wie eine tolle Ausstrahlung haben, Diggah ist eine Bezeichnung für einen Kumpel.

Laetitia besucht die neunte Klasse des Josef-Effner-Gymnasiums. (Foto: Toni Heigl)

Gänzlich neue Bezeichnungen aber sucht man vergeblich: SWAG war schon vor sechs Jahren, also 2011, Jugendwort des Jahres. Anglizismen sind längst nicht mehr aus dem Sprachgebrauch wegzudenken. Etwas neuer sind hingegen arabische und türkische Ausdrücke und Phrasen wie Wallah, ich schwör (Wallah bedeutet bei Gott), die hauptsächlich durch Deutsch-Rapper mit Migrationshintergrund verbreitet werden.

Lelek - ein Schimpfwort

Vor allem die Jungs in beiden Klassen hören viel Deutsch-Rap. Zu den bekanntesten Vertretern des Genres zählen aktuell Kollegah und Bushido, aber auch Luciano hören viele. In ihren Texten benutzen die Rapper vor allem Schimpfwörter. Lelek, "eine Beleidigung unter Freunden", wie Lukas, 17, erklärt, ist bei ihm und seinem Freund Linus, 18, längst in den Sprachgebrauch eingegangen. Trotzdem sind die Zwölftklässler überzeugt davon, dass sie deutlich weniger von Youtubern und anderen sogenannten Influencern beeinflusst sind, als Jugendliche die ein paar Jahre jünger sind wie zum Beispiel die Neuntklässler des Effner-Gymnasiums.

Außerdem sagen die meisten, dass es einen großen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache gebe. Vor allem bei Whatsapp-Nachrichten benützen die Jugendlichen viele Abkürzungen und reduzieren Sätze auf das Wesentliche. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie auch so mit ihrer Lehrerin sprechen, da sind sich die Jugendlichen einig.

Manchmal sprechen die Heranwachsenden aber eben doch ein wenig anders. "Ich war am Überlegen gewesen", sagt beispielsweise Youtuber Kilian Heinrich, der besser unter dem Namen Tanzverbot bekannt ist, in einem seiner vielen Videos. Seine Seite hat über 500 000 Abonnenten. Mit der Satzstellung nimmt er es nicht ganz so genau, dafür beschreibt er in seinen Videos ausführlich, was er sich beim Lieferservice bestellt hat. Klingt nicht sonderlich spannend? In der neunten Klasse des Effner-Gynmasiums ist Tanzverbot trotzdem jedem ein Begriff. Niemand würde sich als Fan bezeichnen und die meisten geben vor, ihn lächerlich zu finden, aber eben irgendwie auch ganz lustig. Tanzverbot ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie das Internet die Lebenswelt der Teenager prägt - und damit auch ihre Sprache.

Katrin Paunert, 36, und Deutschlehrerin der neunten Klasse, stellt seit längerem fest, dass auch ihre Schüler, genau wie der Youtuber, die Satzstellung beliebig ändern oder einfach Wörter weglassen, wenn sie sich miteinander unterhalten. Abgesehen davon kann sie aber ebenso wie ihre Kollegin Nadine Raffler, 28, vom Taschner-Gymnasium keine nennenswerte Veränderungen in der Sprache der Gymnasiasten feststellen. Zumindest an den Dachauer Schulen sind alle offenbar nach wie vor in der Lage, fehlerfreie Sätze zu bilden. Auch Laetitia, 14, aus der neunten Klasse des Effner-Gymnasiums ist überzeugt: "Wir sprechen eigentlich ganz normal". Nach dem so oft prophezeiten Sprachverfall sucht man an den Dachauer Gymnasien offenbar vergebens.

Ein Jürgen ist also auf gut Deutsch ein Depp

Was sich aber sehr wohl feststellen lässt: Wie man spricht, beeinflussen vor allem die Freunde. Innerhalb jedes Freundeskreises gibt es Wörter, die nur die Eingeweihten verstehen. So hat sich zum Beispiel in der neunten Klasse des Effner-Gymnasiums das Verb timmen etabliert. Tim, der Namensgeber, sagt, das bedeute soviel wie jemanden ignorieren. Genauso speziell ist das Wort Jürgen, das Lukas und Linus verwenden. Es bezieht sich auf Jürgen Klopp, ehemals Trainer vom unter Bayernfans verhassten Fußballverein Borussia Dortmund. Ein Jürgen ist also auf gut Deutsch ein Depp.

In Zeiten des Internets verbreiten sich sogenannte Trendwörter relativ schnell unter den Jugendlichen und trotzdem oder möglicherweise auch genau deshalb, gibt es nicht die eine Jugendsprache. Es gibt ein großes Sammelsurium an Wörtern, aber abhängig von eigenen Interessen und dem Freundeskreis, in dem man sich bewegt, benutzen die Heranwachsenden manche Worte, andere hingegen nicht.

I bims dürfte aber, zumindest, wenn es nach den Dachauer Teenagern geht, schon bald wieder in Vergessenheit geraten sein.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: