Irmgard und Alfred Reiss verbindet die gleiche Fluchtgeschichte. 1945 mussten beide aus Ostpreußen fliehen. Als Kinder kamen sie über Dänemark und verschiedene Durchgangslager schließlich nach Dachau. Dort lebten sie mit ihren Familien in der Wohnsiedlung Dachau-Ost auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers. Für sie war es eine deutliche Verbesserung, denn sie mussten zum ersten Mal nicht mehr in einem Lager wohnen. "Wir hatten eine eigene Tür", erzählt Irmgard Reiss. In Dachau-Ost konnten sie endlich Ankommen. Die Siedlung war wie eine kleine Stadt in der Stadt. Es gab dort einen eigenen Friseur, ein Kino, eine Schule, Geschäfte und Arbeitsmöglichkeiten.
Irmgard erzählt: "Mein Mann war dort unser Nachbar." Sie lernten sich vor dem ersten Faschingsball kennen. Sie war damals 15 und Alfred 22 Jahre alt. Die älteren Schwestern meinten, er sei ein guter Tänzer und sie solle ihn fragen, ob er mit ihr zum Ball gehe. "Und er hat zugesagt", freut sich Irmgard immer noch.
Anno 1957, als Irmgard 19 und Alfred 26 Jahre alt waren, heirateten sie. "Damals hat man noch anders gefeiert", erzählt Irmgard, "meine Mutter hat ein Schwein geschlachtet, wir haben alles selber besorgt und zum Wirt gebracht". Die Feiergäste aus Hamburg, Alfreds Verwandte, hatten eine kulinarische Besonderheit mit dabei: "Es gab zur Hochzeit eine Blechwanne mit eingelegten Heringen." Alfred arbeitete bei einer Baufirma in München. Irmgard war im Landratsamt in Dachau beschäftigt. "Warum soll eine Person alleine für vier Personen arbeiten?", fragt sie. Das Ehepaar hat zwar keine Enkelkinder, aber die zwei Söhne kümmern sich gut um die beiden. Täglich rufen sie an und erledigen abwechselnd die Einkäufe für ihre Eltern. Rückblickend sagt Irmgard Reiss stolz: "Wir haben alles gemeinsam gemacht." Ihre große Leidenschaft war und ist das Tanzen. So hatten sie sich ja auch kennengelernt. Sie merke zwar ihr Alter, sagt Irmgard. Aber die Lebensfreude der beiden ist immer noch spürbar.