Jazz-Konzert:Monsterbass im Schneidersitz

Jazz-Konzert: Jugendlich frisch und dennoch technisch erstaunlich ausgereift: Kinga Glyk zog ihr Publikum mit ihrem improvisationsreichen und virtuosen Spiel in den Bann.

Jugendlich frisch und dennoch technisch erstaunlich ausgereift: Kinga Glyk zog ihr Publikum mit ihrem improvisationsreichen und virtuosen Spiel in den Bann.

(Foto: Toni Heigl)

Kinga Glyk und ihr Jazz-Trio überzeugen in der Kulturschranne ein breites Publikum. Mit jugendlicher Lässigkeit, aber doch virtuos zeigt die junge Bassistin ihr Können

Von Oliver Hochkeppel, Dachau

Es ist erfreulich, dass jetzt auch der Jazz seine Youtube-Stars hat. Die erst 20-jährige polnische Bassistin Kinga Glyk sammelte mit ihrer Version von Eric Claptons "Tears In Heaven", von ihr so virtuos und lässig auf dem E-Bass gespielt wie von Clapton auf der Gitarre, bislang mehr als 20 Millionen Klicks und stieg so in die Riege der Jungstars auf. Dass sie weit mehr drauf hat als ein Solo-Gustostückerl, das demonstrierte sie jetzt in der Dachauer Kulturschranne, wo sie im Rahmen der deutsch-polnischen Kulturtage und damit vom Landkreis mitveranstaltet, aber trotzdem in der hier beheimateten Reihe des Jazz e.V. auftrat.

Für den war es ein "artfremdes" Konzert, wie Programmchef Axel Blanz in seiner Anmoderation betonte: "Normalerweise präsentieren wir hier freie Musik, jetzt geht es einmal in Richtung Mainstream". Was aber nur die halbe Wahrheit war, wie schon die ersten Stücke klar machten. Sicher, dieses Trio mit Kinga Glyk, ihrem Vater Irek am Schlagzeug und Rafal Stepien an den Tasten liebt einerseits den Souljazz, klare Rhythmik und eingängige Melodien. Andererseits geht es bei den ausladenden Intros, in den Solo-Passagen wie auch im Interplay weit hinein in den reinen Jazzbereich, mit einem so hohen Improvisationsanteil, wie man ihn derzeit nicht von vielen Trios hört. Es mag nicht die Kriterien der Hardcore-Freejazzer erfüllen, aber reichlich ungebremst, chromatisch und spontan bearbeitete insbesondere Stepien den Flügel und seine vier Keyboards.

Auch die Bandbreite der Klangfarben, Stimmungen, Motive und Stile war beachtlich. Vom souligen "Simple Blues" oder dem fast wie bei Quincy Jones' "Elephant Walk" ganz schlicht dahingroovenden (ihrem am Mischpult sitzenden Bruder gewidmetem) "Walking Baby" über Balladen wie das berührende "Dream" (der Titeltrack ihres aktuellen Albums) ging es bis zur rasend schnellen klassischen Bebop-Nummer. Glyk wechselte dabei vom fetten Fender auch mal zu einem kleineren, melodischeren. Ihr Spiel orientierte sich zweifellos an den Heroen ihres Fachs, am Slapping eines Marcus Miller (dessen "St. Pierre" zitierte sie nicht nur am Bass, sie ließ das Thema auch mal vom Publikum mitsingen), dem sonoren Groove eines Stanley Clarke und insbesondere an den virtuosen Fusion-Läufen eines Jaco Pastorius. Es erwies aber auch mal einem Johann Sebastian Bach oder einem Jimi Hendrix Reverenz. Vor allem aber war es mit vielen aktuellen Elementen und eigenen Ideen angereichert.

Man konnte mehrfach sehen, dass dies die gute Schule des Vaters ist, auch wenn der nun ins zweite Glied hinter seine Tochter gerückt war. Irek Glyk bearbeitete sein Drumkit nicht nur mit Händen, Stöcken und Besen virtuos, sondern auch ganz modern mit stets wechselnden Fills, Metren und Sounds. Besonders ein Solo beeindruckte, das ganz afrikanisch klang, dabei aber dreistimmig polyrhythmisch unterlegt war.

Aktueller Jazz ist das also, der vielleicht einen Tick zu stark über den Ozean linst, zu sehr auf den größten gemeinsamen Nenner bedacht ist, und dabei seine durchaus noch erkennbaren Wurzeln in der polnischen Musik etwas vernachlässigt. Andererseits spannt Kinga Glyk damit ganz locker vieles zusammen, was sonst nicht so leicht zusammengeht: jugendliche, durch das Teenie-Outfit mit Hut, Blümchen-Longjacket, Löcher-Jeans und Sneakers betonte Frische mit bereits erstaunlicher technischer Reife; in den Pop ragende Eingängigkeit mit avantgardistischer Spröde; opulentes Equipment mit dessen konzentrierter Verwendung; sorgsam vorbereitete Arrangements mit dem Zulassen des Spontanen. Darauf konnte man sich am Ende auch in Dachau einigen, wie der Applaus bewies.

Spätestens, als Glyk sich bei der Zugabe in den Schneidersitz begab, um natürlich "Tears in Heaven" anzustimmen, war jeder Widerstand gebrochen.

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