Jazz e.V.:Lauschgift mit Suchtcharakter

Killing Popes

Assoziativ, mitreißend,emotional: Die Musik der Killing Popes lässt sich nicht einfach so verorten. Sie bewegt sich irgendwo zwischen komplexen Rhythmen, virtuosem Chaos und wunderschöner Melodie.

(Foto: Niels Jørgensen)

Gemütlich wie ein Kaffeehaus-Massaker: Die "Killing Popes" machen Avantgarde-Jazz der allerhöchsten Güte - und sind dabei noch unglaublich unterhaltsam

Von Gregor Schiegl, Dachau

Kammerflimmern. Das Schlagzeug rast, die Gitarre jault, der Bass brummelt wie ein böser alter Mann, die zwei Keyboards keifen in schrillen Dissonanzen. "Kalashnikov Dream"heißt die Nummer, und nicht nur der Titel klingt wie eine Kampfansage: Leute, das, was ihr hier jetzt in der Kultur-Schranne Dachau und zu hören bekommt, wird so gemütlich wie ein Kaffeehaus-Massaker. Amen.

Die Killing Popes machen ihren Zuhörer den Einstieg in dieses Konzert wahrlich nicht leicht. Fast scheint es, als wollten sie das Publikum des Jazz e.V. erst einmal ordentlich abschrecken mit einem eisigen Guss aus dem Free-Jazz-Bottich, damit sie mit dem fidelen Wahnsinn dieses Quintetts danach umso schneller warm wird.

Um es schon mal vorauszuschicken: Die fabelhafte Formation um den ebenso fabelhaften Schlagzeuger Oli Steidle wird dieses eiskalt übergossene Publikum schnell entflammen. Das liegt einerseits daran, dass sich diese Band aus erstklassigen Musikern zusammensetzt, allen voran Mastermind Oli Steidle, der das virtuose Chaos auf der Bühne sicher und lässig orchestriert. Phil Donkin knallt ab und an eine dicke Funky Note hinein, spielt seinen Bass ansonsten sehr filigran und flott. Kit Dowens und Dan Nicholls sorgen an den zwei Keyboards für das moderne Sounddesign. Erwähnen muss man an dieser Stelle aber auch unbedingt Gitarrist Frank Möbius, der sich auf wenige, aber dafür ausgesucht virtuose Töne beschränkt. Möbius ist in der Szene vor allem durch seine Band Roter Bereich bekannt, die als wichtigster Vertreter des deutschen Avantgarde-Jazz gilt - und als einer der lustigsten.

Das trifft auch auf die Killing Popes zu: Sie sind genauso Punk- wie Jazzband, rotzfrech, laut und schräg. Und gleichzeitig sind sie das Gegenteil davon: technisch brillant, sauber getaktet bis ins Hundertstel und selbst, wenn es richtig lärmt und kracht, auf wundersame Weise harmonisch. Aus diesem Spannungsverhältnis ziehen sie ihre Kraft. Mit fein justiertem Chaos. Mit formstrengen Explosionen. Mit Melodien, die sie in den Raum werfen, um sie zielsicher abzuballern wie Tontauben. Sich irgendwo gemütlich einzurichten, in einer Melodie, in einem Groove, das gestatten die Popes nicht. Zack! Ist der Schalter umgelegt, die Harmonie schon wieder vaporisiert. Manchmal kehren die Motive wieder zurück nach einer kurzen geräuschvollen Sendestörung, manchmal werden die Stücke langsamer oder schneller wie bei einer alten Tonkassette, deren Band vom Kassettenrecorder gefressen wird; manchmal hat es den Anschein, als verlöre ein Musiker den Anschluss und käme aus dem Takt und alle anderen mit ihm ins Schleudern, und just in dem Moment, in dem man denkt, jetzt wird es aber brenzlig, löst sich das Kuddelmuddel auf in triumphaler Schönheit.

Auch wenn die Killing Popes ein Gesamtkunstwerk sind, muss man Bandleader Oli Steidle an dieser Stelle noch einmal besonders hervorheben. Er beherrscht die vertrackteste Polyrhythmik auch im Hochgeschwindigkeitstempo, und selbst die komplexesten Rhythmen spielt er so klar und nachvollziehbar, dass auch Jazz-Laien die künstlerische Idee dahinter verstehen und sich daran erfreuen können.

Steidle nutzt Becken, Drums und sonstige Bestandteile seiner Percussion als Klangwerk, dem man schöne und auch interessant scheußliche Töne entlocken kann. Manchmal fühlt man sich ein bisschen an das Frühwerk der Einstürzenden Neubauten erinnert. In einem Stück ohne Titel kratzt er mit dem Stick über das Becken und erzeugt einen entsetzlichen Laut, unwillkürlich denkt man an eine rostige Kellertür, die zufällt. Der Bass grollt wie ferner Donner. Ein monotones Klappern der Sticks - ein Fensterladen, der im aufkommenden Sturm schlägt? Dann Stille. Atemloses Lauschen. War da nicht ein Kratzen, ein Knarren der Bass-Saiten? Geisterhafte Wortfetzen von den Keyboards?

Ist das noch Jazz oder schon ein Horror-Hörstück? Der Sound der Killing Popes ist assoziativ, mitreißend, emotional. Lauschgift mit Suchtcharakter.

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