50 Jahre Versöhnungskirche:Schwierige Anfänge

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Die evangelische Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte feiert 50-jähriges Bestehen und erinnert an Widerstände in den eigenen Reihen

Von Robert Stocker, Dachau

Verbeugung vor einem sakralen Bau mit Symbolcharakter: Gäste aus ganz Europa, darunter ehemalige NS-Verfolgte und deren Angehörige, haben am Samstag das 50-jährige Bestehen der Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau gefeiert. Das am 30. April 1967 eingeweihte Gotteshaus ist bis heute die einzige evangelische Kirche auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers und ein Ort der Erinnerungsarbeit. Die Einrichtung meldet sich aber auch häufig kritisch zu Wort und warnt vor einem wieder erstarkenden Rechtsradikalismus und vor Rassismus. Von der Versöhnungskirche gingen wegweisende Initiativen wie der "Erinnerungstag im deutschen Fußball" aus. Das soll auch in Zukunft so bleiben, sagte Ernst Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt und Vorsitzender der Dachauer Lagergemeinschaft in einem Grußwort nach dem Festgottesdienst.

In der evangelischen Kirche gab es zunächst Widerstände gegen den Sakralbau auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte. Die Bereitschaft, das Versagen der evangelischen Kirche in der Nazizeit anzuerkennen, setzte sich erst in den 1960er Jahren durch. Dirk de Loos, niederländischer Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling im Dachauer KZ, brachte den Kirchenbau auf den Weg. Sein Sohn Pieter Dietz de Loos, der sich dem Erbe des Vaters verpflichtet fühlt, führte zehn Jahre lang bis zum Juni 2015 das Internationale Dachau-Komitee (CID). Er gehörte zu den Mitwirkenden des Festgottesdiensts, ebenso wie Eva Rendl-Wypior, Tochter des tschechischen Dachau-Überlebenden und Pfarrers Eugen Zelený, oder Gisela Joelsen, deren Vater der KZ-Überlebende Walter Joelsen ist. Erst nach hartem Ringen habe sich in der evangelischen Kirche die Erkenntnis durchgesetzt, dass nur der ehrliche Umgang mit den NS-Verbrechen die Menschen von den Fesseln der Nazivergangenheit löse, sagte Stadtdekanin Barbara Kittelberger, Vorsitzende des Kuratoriums der Versöhnungskirche, zu Beginn des Festgottesdiensts. "Nur die Erinnerung an die eigene Geschichte macht uns frei."

Daniel Ženatý, Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in Prag, erinnerte in seiner Predigt an das Schicksal der Häftlinge, die vor 72 Jahren aus dem KZ Dachau befreit wurden. Sie seien vom Leben ausgeschlossen oder dem Leben entrissen worden. Viele Häftlinge hätten dennoch nicht den Glauben an Gott verloren und sich zu ihrem Christsein bekannt. "Entscheidend ist, in wessen Namen man kämpft und stirbt, das gibt den Menschen Würde", sagte Ženatý. Auch die rumänische Studentin Agathe C. Halmen gestaltete den Gottesdienst mit einem Beitrag mit. Sie war 2015/16 Freiwillige der Aktion Sühnezeichen und leistete an der Versöhnungskirche Friedensdienst. Dabei schrieb sie auch an den Gedächtnisbüchern mit. Die Gespräche mit Zeitzeugen und deren Angehörigen seien für sie ein unvergessliches Erlebnis gewesen. Das Jahr an der Versöhnungskirche habe sie stark geprägt. "Ich habe gelernt, dass der Einzelne sehr wohl den Unterschied machen kann", unterstrich die Freiwillige der Aktion Sühnezeichen.

Zwischen dem Gottesdienst und dem anschließenden Empfang läutete die Kirchenglocke zu der Uhrzeit, zu der vor 72 Jahren, am 29. April 1945, etwa 32 000 Häftlinge aus dem KZ Dachau durch amerikanische Truppen befreit worden waren. Wie Björn Mensing, Kirchenrat und Pfarrer der Versöhnungskirche, erklärte, soll dies zwischen 17.15 Uhr und 17.32 Uhr geschehen sein. Genau um 17.32 Uhr läutete am Samstag die Kirchenglocke. Mensing: "Spätestens in dieser Minute waren die Häftlinge frei." Es habe bei ihm lange gedauert, bis ihm der Gedanke der Versöhnung mit den Tätern nahe war, erklärte Ernst Grube den Besuchern des Festgottesdiensts. Um eine Versöhnung zu akzeptieren, seien für ihn Vorbilder wie Heiner Bauer oder Pfarrer Hans-Ludwig Wagner wichtig gewesen. Wagner, selbst Verfolgter des Naziregimes, kam 1981 an die Versöhnungskirche und baute die Erinnerungsarbeit aus. Ein Schlüsselerlebnis war für Grube die Besetzung der Kirche durch eine Gruppe von Sinti und Roma, die für die Anerkennung ihrer Volksgruppe als Opfer des Nationalsozialismus und gegen ihre Diskriminierung in Deutschland kämpften. Als Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes wurde Grube vom Verfassungsschutz observiert. Die Versöhnungskirche protestierte dagegen. Der Vorsitzende der Dachauer Lagergemeinschaft rechnet das der Kirche immer noch hoch an. Grube: "Wir wünschen uns, dass sich die Versöhnungskirche auch weiterhin einmischt und querstellt."

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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