Flüchtlinge:Hausgemachte Modelle zur Integration

Flüchtlinge: Von der Regierung in Berlin fühlt sich Hartmann allein gelassen.

Von der Regierung in Berlin fühlt sich Hartmann allein gelassen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Weil Vorgaben aus Berlin fehlen, versuchen Oberbürgermeister und Landrat selbst, ein System zu finden, um Menschen einzugliedern.

Von Viktoria Großmann, Dachau

Etwa die Hälfte aller Asylanträge, die 2015 in Deutschland bearbeitet wurden, sind positiv ausgefallen: Die Hälfte der Menschen darf bleiben. Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) beschäftigen diese Zahlen, denn er weiß: Hier beginnt seine Aufgabe. Sie heißt Integration und setzt sich zusammen aus leben, wohnen, arbeiten. Um sie zu bewältigen braucht Hartmann Geld und Strukturen. Es mangelt an beidem. "Von den Verantwortlichen, die dieses Land regieren, fehlen die Antworten", sagt Hartmann. Und: "Willkommenskultur kostet Geld." Etwa 470 Flüchtlinge leben zur Zeit in Dachau, bis zum Jahresende könnten es 800 sein. Wenn davon 400 bleiben, hat Dachau die 50 000-Einwohner-Marke überschritten.

Kürzlich forderte der Dachauer SPD-Landtagsabgeordnete Martin Güll einen "Integrationsfahrplan". Den brauche es, damit aus der sogenannten Flüchtlingskrise eine "Erfolgsstory" werde. Das Bedürfnis nach Vorgaben, Plänen und Ordnung ist groß in diesen Tagen. In Rathäusern und Landratsämtern fühlt man sich allein gelassen von denen in Berlin. Oberbürgermeister Hartmann und Landrat Stefan Löwl (CSU) stehen gleich zu Beginn ihrer Laufbahn vor der wohl schwierigsten Aufgabe. Für ihre Lösung gibt es keine Vorbilder und keine Paragrafen in der Gemeindeordnung. Manche Landräte und Bürgermeister äußern ihren Frust lautstark oder lassen sich zu demonstrativen Aktionen hinreißen, wie der Landshuter Landrat Peter Dreier (FW), der kürzlich einige anerkannte Asylbewerber in einen Bus setzte und mit ihnen nach Berlin fuhr. Er wollte darauf aufmerksam machen, dass er für sie keine Wohnungen habe. Aufmerksamkeit hat er bekommen, Wohnungen nicht.

Groß angelegtes staatliches Wohnungsbauprogramm

Oberbürgermeister Florian Hartmann geht es leiser an. Mit viel gutem Zureden hat er im Stadtrat ein neues Amt durchgesetzt, das zuständig sein soll für Soziales, Familie und explizit auch für Integration. Denn er sagt: "Wir haben im Moment weder das Personal noch die Struktur für das Thema Integration". Anderthalb neue Stellen gibt es nun für das neue Amt. Es war nicht leicht, dafür eine Mehrheit zu finden. Aber Hartmann bleibt pragmatisch. Im vergangenen Haupt- und Finanzausschuss kündigte er an, dass eine eigene Koordinationsstelle nötig werden wird. "Wir müssen das Thema Integration in der Verwaltung stärken und das wird sich auch auf das Personal auswirken", sagte der OB. Er hofft, dass die Stadt von verschiedenen Fördertöpfen profitieren kann.

Etwa im Wohnungsbau. Der Dachauer Stadtrat hat bereits im vergangenen Jahr einstimmig den Bau von 100 zusätzlichen Wohnungen in den kommenden zwei Jahren beschlossen. "Das reicht bei weitem nicht aus", sagt Hartmann. Schon auf einer Rede im Juli, bevor Zehntausende täglich in München eintrafen, forderte Hartmann: "Wir brauchen ein groß angelegtes staatliches Wohnungsbauprogramm, besser gestern als morgen." Auf einer Warteliste für Sozialwohnungen stehen bereits 400 Dachauer. Dabei ist Dachau derzeit die einzige Kommune im Landkreis, die überhaupt Wohnungen baut. Nicht nur deshalb gibt es im Stadtrat Befürchtungen, dass Dachau und auch Karlsfeld am Ende die Integrationslast alleine schultern müssen.

17 Millionen Euro für Sprachkurse in Bayern

Das will auch Stefan Löwl verhindern. Im Februar möchte er zum zweiten Mal Vertreter aller Kommunen, von Wohlfahrtsverbänden, der VHS, von Vereinen und Feuerwehren an einen Tisch im Landratsamt bringen und mit ihnen Antworten finden auf die Frage "Asyl - was dann?" Die neuen Bewohner sollten über das Vereinsleben rasch in die Gemeinden eingebunden werden. Am Wohnungsbau, sagt der Landrat, müssten sich alle Gemeinden beteiligen. "Dann muss eben in S-Bahn-Nähe auch mal drei- bis vierstöckig gebaut werden."

Auch Löwl will ein System schaffen, will die Aufgaben vom Deutschkurs über Praktikum, Ausbildung, Arbeitsplatz, Wohnung und Vereinsmitgliedschaft koordinieren und bündeln. Dabei ist er mit seinen Ideen nicht weit entfernt von Martin Güll. Der möchte "neben einem Gesundheitscheck auch einen Bildungscheck". Löwl spricht von einer Art Clearingstelle, in der die Talente, Fähigkeiten und Kenntnisse jedes anerkannten Asylbewerbers erfasst werden, das soll die Jobsuche erleichtern. Güll fordert im Landtag "passgenaue und ausreichende Angebote für den Spracherwerb und die Integrationskurse". Die Stadt Dachau unterstützt die Volkshochschule dabei, ihre Sprachkurse für alle Flüchtlinge öffnen zu können, nicht nur für anerkannte Asylbewerber. Immerhin: Für die Sprachkurse will der Freistaat in diesem Jahr 17 Millionen Euro ausgeben.

Andere machen vor, wie es geht

Andere Landesregierungen geben ihren Bürgermeistern und Landräten auch die Strukturen dazu. Das Arbeits- und Sozialministerium in Nordrhein-Westfalen ist zugleich ein Integrationsministerium. Darin angesiedelt ist eine landesweite Koordinierungsstelle für kommunale Integrationszentren von denen es in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt eines gibt. "Wir haben ja noch nicht einmal einen Lehrplan für die Integrationskurse", schimpft Hartmann. Jeder gibt sich in Bayern seine Antworten selbst, so gut es Haushaltsplan und Stadtratsbeschlüsse hergeben. Hartmann orientiert sich etwa an Dachau-Ost, wo mit viel ehrenamtlichem Engagement ein Bürgertreff entstanden ist und das Projekt Soziale Stadt zu einem echten Miteinander der Nachbarschaft geführt hat. Ansonsten hilft im Moment nur: voneinander abschauen. Etwa von Erding.

Die Unternehmensberaterin Anna Maria Blau hat das Modell "Adia" entwickelt, eine Plattform, über die Flüchtlinge online Deutsch lernen können und Informationen zum Leben und Arbeiten bekommen. Blau ist dabei wiederum dem Vorbild einer Mathematikerin aus Bad Tölz gefolgt, die ein Sprachlernprogramm entwickelt hat. Martin Güll will Adia auch nach Dachau bringen. Nachahmenswert findet er auch das Erdinger VHS-Modell. Jede Gemeinde im Landkreis habe sich verpflichtet, pro Einwohner einen Euro an die VHS zu zahlen, damit diese die entsprechenden Kurse anbieten können. "Wir müssen das Rad nicht neu erfinden", sagt Güll, " sondern einfach nur anfangen."

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