Hermann-Ehrlich-Preis:Die Brisanz, die niemand sah

Helge Cramer erhält überraschend den Hermann-Ehrlich-Preis - für einen zehn Jahre alten TV-Beitrag über den Dachauer Wahlfäschungsskandal, der nie gesendet wurde.

Andreas Glas

- Es ist nicht unüblich, dass Preisverleihungen Erstaunen hervorrufen. Immer wieder gibt es Gewinner, mit denen keiner gerechnet hat. Dark horse heißt beim Pferderennen ein solcher Außenseiter, auf den keiner gesetzt hat, der am Ende aber ganz vorne landet. Als dark horse kann man auch Helge Cramer bezeichnen, der am Mittwoch mit dem Hermann-Ehrlich-Preis des Bündnisses für Dachau (BfD) ausgezeichnet wurde. Obwohl er nicht aus der Region stammt, erhielt der Dokumentarfilmer den Preis, der eigentlich ein regionaler ist. Geehrt wurde er für einen Fernsehbeitrag, den er für das ARD-Magazin Monitor produziert hatte und indem er sich mit dem Dachauer Wahlfälschungsskandal von 2002 befasste.

Zwei CSU-Politiker wurden nach dem Skandal verurteilt, weil sie Stimmzettel gefälscht hatten und Wahlscheine verschwinden ließen, um die Wahl zugunsten ihrer Partei zu manipulieren. Zur Aufdeckung des Skandals hatte Cramers Film jedoch gar nicht beigetragen. Konnte er auch gar nicht, denn: Sein Beitrag wurde niemals gesendet, sondern von der ARD zweimal kurzfristig aus dem Programm genommen. Dass der Beitrag letztlich ganz gestrichen wurde, erklärte die ARD damit, dass dieser zum zweiten geplanten Ausstrahlungszeitpunkt nicht mehr aktuell genug gewesen sei.

Trotzdieser Erklärung rechtfertigte Jury-Mitglied Kai Kühnel, Stadtrat des Bündnisses für Dachau, die Auszeichnung Cramers mit vagen Andeutungen, dass dessen Enthüllungen so brisant gewesen seien, dass der Beitrag in Wahrheit auf Druck der Politik aus dem ARD-Programm gestrichen wurde: "Dass der Beitrag das zweite Mal nicht gesendet worden ist, kann meines Erachtens nicht an der Aktualität gelegen haben", ist Kühnel überzeugt.

Kurios: Preisträger Helge Cramer fühlt sich keineswegs als Zensur-Opfer des Deutschen Fernsehens. Die Entscheidung der ARD, den Bericht nicht zu senden, betrachtet er als "eine normale, geradezu alltägliche redaktionelle Entscheidung". Überdies hatte sich Cramer überrascht gezeigt, als er vor einigen Wochen von der Auszeichnung erfahren hatte, weil der kurze TV-Beitrag eigentlich "eine uralte Geschichte" sei.

Trotzdem, sagt Cramer, freue er sich über die Auszeichnung und halte sich für einen angemessenen Gewinner. Zumal, so der Westfale Cramer, die Jury betont habe, dass andere Kriterien wichtiger seien als der lokale Bezug des Preisträgers, der eigentlich als Voraussetzung in der Satzung des Ehrlich-Preises festgeschrieben ist - aber schon bei der erstmaligen Verleihung des Preises großzügig von der Jury interpretiert wurde. Inhaltlich, so heißt es sinngemäß, habe sich Cramer schließlich einem Dachauer Thema gewidmet.

Der im vergangenen Jahr verstorbene Dachauer Sozialpädagoge Hermann Ehrlich, nach dem der Preis benannt ist, hatte seinen Überzeugungen von sozialer und politischer Gerechtigkeit vor allem musikalisch Ausdruck verliehen. Der Preis soll dazu dienen, jene Überzeugungen von Menschlichkeit und Demokratie auch nach Ehrlichs Tod weiterzutragen.

Dass mit Helge Cramer nun in seinem Namen ein Filmemacher ausgezeichnet wurde, der nicht aus dem Dachauer Raum stammt - überdies für einen kurzen Fernsehbeitrag, der zehn Jahre alt ist und niemals gesendet wurde - ist mindestens erstaunlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: