Helferkreis informiert:Hintergründe der Beilattacke

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Der Leiter des Helferkreises Haimhausen Detlef Wiese informiert. (Foto: Niels P. Joergensen)

Der Helferkreis Haimhausen will mit den Bürgern ins Gespräch kommen und über die verzweifelte Situation von Asylsuchenden aufklären. Auch die Ehrenamtlichen stehen unter zunehmendem Druck

Von Viktoria Großmann, Haimhausen

Nicht nur die Tat des jungen Flüchtlings, auch der Versuch, der ehrenamtlichen Helfer, sie zu erklären, erscheinen wie ein Hilferuf. In der Unterkunft für Asylsuchende in Haimhausen hatte Anfang April ein Mann aus Afghanistan einen Mitbewohner mit einem Küchenbeil angegriffen und verletzt. Der Helferkreis will nun die Öffentlichkeit über die Hintergründe der Tat informieren. Am Mittwoch, 19. April, wollen die Aktiven von 19 Uhr an im Sitzungssaal des Rathauses über die Tat des 27-Jährigen berichten. "Wir stehen für Fragen und Erklärungen zur Verfügung, um falsche Eindrücke zu widerlegen und zu zeigen, dass nichts unter den Tisch gekehrt wird", formuliert Christiane Kettinger.

An jenem Abend trafen sich die Helfer zu ihrer monatlichen Besprechung, die immer am ersten Mittwoch im Monat stattfindet. Mitten in die Runde hinein kommt die Nachricht von der Tat. "Das ist schon heftig", sagt Christiane Kettinger vom Helferkreis. "Wir waren fast alle am Heulen." Seit Monaten schon klagen die Helfer über eine neue und besonders starke Art der Beanspruchung: sowohl Flüchtlinge als auch Helfer tragen die Last der Abschiebebescheide. "Ich habe hier weinende Flüchtlinge und weinende Helfer", sagt der Leiter des Haimhausener Helferkreises Detlef Wiese. Jener 27-Jährige hatte Ende März erfahren, dass sein Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. "Seitdem war er völlig neben der Spur", berichtet der Leiter des Haimhausener Helferkreises Detlef Wiese. "Mal wollte er sofort seinen Job hinschmeißen, dann wieder nicht. Er überlegte, das Coming-Home-Programm zu nutzen, dann wieder wollte er nur hierbleiben." Der Mann hatte in Afghanistan als Lehrer gearbeitet, sagt Wiese. In Haimhausen hatte er bereits recht gut Deutsch gelernt. Jede Nacht stand er um 2.30 Uhr auf und fuhr dann acht Kilometer mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstelle. Seit einigen Monaten hatte er eine Vollzeitstelle bei Bäcker Thomas Polz in Ampermoching. Polz verliert mit ihm die zweite zuverlässige Arbeitskraft innerhalb weniger Wochen. Laut Polz hatte sein Angestellter große Angst, nach Afghanistan zurückzukehren. Er fühlte sich bedroht von den Taliban und hatte erklärt, er könne allenfalls nach Pakistan gehen, keinesfalls nach Afghanistan.

Der Flüchtling sitzt in Untersuchungshaft

Nun sitzt der Mann in Untersuchungshaft in Stadelheim. Sein 24 Jahre alter Mitbewohner war im Krankenhaus versorgt worden, konnte jedoch am nächsten Tag wieder entlassen werden. Geklärt werden soll, ob der 27-Jährige den anderen töten wollte. Die Polizei teilte nach dem Vorfall mit, auch der Grund des Streits müsse noch festgestellt werden. Wie es genau zu dem Streit und jenem Angriff kam, wissen zwar auch die Helfer nicht. Doch sie und auch Arbeitgeber Polz machen die enorm belastende psychische Situation mitverantwortlich.

Im Februar hatte ein anderer Fall die Helfer in Petershausen und schließlich im gesamten Landkreis in Aufruhr versetzt. Auch dort hatte ein junger Mann aus Afghanistan erfahren, dass er Deutschland verlassen soll. Doch richtete er die Gewalt nicht gegen einen anderen, sondern gegen sich selbst. Die Ehrenamtlichen fühlten sich überfordert und hilflos. Die Afghanen selbst organisierten eine Demo, bei der sie Anfang März in Petershausen auf ihre Situation aufmerksam machten. An die Politiker im Landtag und im Bundestag richteten sie die Aufforderung: "Sagen Sie uns, wo es in Afghanistan sicher ist."

Die Helfer sehen sich durch Abschiebungen um den Erfolg ihrer Mühen betrogen

Auch die Caritas räumte ein, dass die Arbeit deutlich schwieriger geworden sei, seitdem die Abschiebebescheide verschickt werden. Der Verband bietet Krisenhilfe und psychologische Hilfe, wie auch Hilfe bei der Rückkehr ins Heimatland an - und ist auch für die Ehrenamtlichen Ansprechpartner. Die Ehrenamtlichen halten die Asylsuchenden an, niemals die gelben Briefe alleine zu öffnen und versuchen, stets erreichbar zu sein. Doch einige kritisieren immer mehr, dass die staatliche Hilfe zu gering ausfällt. Besonders die psychologische Betreuung der Flüchtlinge, die unbearbeitete Traumata mitbringen.

Nicht das allein belastet die Helfer. Sie sehen sich durch die Abschiebungen und Arbeitsverbote, um den Erfolg ihrer Mühen betrogen. Wiese teilt die Arbeit der Helfer, beginnend im Sommer 2015, in fünf Phasen ein: Willkommenskultur - Erste Hilfe - Erschöpfung - Jetzt erst recht. Nun habe man eine Sinnkrise erreicht, sagt Wiese. Seinem Ärger macht er in einem mehrseitigen Traktat Luft, das unter den Helfern weiter gereicht wird. "Asylbewerber und Helfer haben sich vergeblich bemüht, sind beide verzweifelt, emotional am Ende. Was haben sie die ganze Zeit gemacht, wozu war es gut, was soll ich jetzt noch machen, sind für beide die typischen Fragen", so schreibt er darin. Wiese fordert politisches Mitspracherecht für die Helfer, die mit Beratung, Jobvermittlung, Integrationshilfe und Sprachunterricht jede Menge staatliche Aufgaben übernehmen. Und er träumt von einem Einwanderungsbüro. Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen sich hier melden können, ihre Bildungs- und Sprachfortschritte und ihre sozialversicherungspflichtigen Jobs vorweisen können und so eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen können.

Doch die Haimhausener Helfer haben weiterhin auch konkrete Vorhaben: In sechs verschiedenen Sprachen bieten sie im April und Mai für die Flüchtlinge Kurse zum Thema Ablehnung, Klage, Rückkehr und Abschiebung sowie Streitschlichterseminare an. Sie wollen mit allen Haimhausenern ins Gespräch kommen.

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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