Helfer Uwe Hiller:"Ganz sicher schaffen wir das"

Der Koordinationsleiter des Helferkreises in Karlsfeld, erklärt, welchen Stellenwert der Begriff Flüchtling in der Siedlergemeinde hat und warum die Freiwilligengruppe nach dem Vorbild japanischer Unternehmensorganisation gemanagt wird

Interview von Gregor Schiegl

500 Flüchtlinge sollen bis Jahresende nach Karlsfeld kommen: 300 werden in einer Traglufthalle im Gewerbegebiet untergebracht, 200 in Holzträgerhäusern am Ortseingang. Die Bürger haben bereits einen Helferkreis organisiert; schon am Tag der Gründung hatte er mehr als 140 Aktive. Uwe Hiller, Leiter der Arbeitsgruppe Koordination und Sprecher des Helferkreises, erklärt, warum die Karlsfelder so hilfsbereit sind, warum die Flüchtlinge eine Chance für das Land darstellen und warum der Kreis nach dem Vorbild japanischer Unternehmensorganisation gemanagt wird.

Herr Hiller, wie gut sind Sie auf die Ankunft der Flüchtlinge vorbereitet?

Uwe Hiller: Wir sind sehr gut aufgestellt. Im Moment haben wir in jeder der sieben Arbeitsgruppen im Schnitt mehr als 20 Personen. Es gibt noch die ein oder andere Gruppe, die zusätzliche Helfer gebrauchen könnte, zum Beispiel im Bereich Arbeit und Bildung. In anderen Bereichen haben wir jetzt eine Größenordnung erreicht, bei der unsere Erwartungen bei weitem übertroffen wurden. Es ist gewaltig, was sich da innerhalb weniger Tage getan hat.

Warum ist gerade in Karlsfeld die Bereitschaft, zu helfen, so groß?

Es ist Spekulation, aber man sollte im Hinterkopf behalten, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viele Menschen als Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in Karlsfeld eine Heimat gefunden haben, dass viele Gastarbeiter in den Sechziger- und Siebzigerjahren gekommen sind. Damit hat der Begriff Flüchtling in Karlsfeld einen ganz anderen Stellenwert. Das erleben wir in der Diskussion mit den Leuten. Viele kennen das Thema aus der eigenen Familiengeschichte.

Was die Karlsfelder jetzt vor allem interessiert: Woher kommen die Flücht- linge?

Klar, dass sie das interessiert. Das interessiert uns auch. Nach derzeitigem Stand werden wir selbst aber erst 24 Stunden vorher wissen, welche Menschen zu uns kommen. Für uns in der übergeordneten Planung ist das aber im Moment nicht so wesentlich. Wir sind bei den Dolmetschern sehr breit aufgestellt, wir haben hier in der Umgebung viele christliche Gemeinden mit Äthiopiern, Eritreern und Nigerianern - zwei in Dachau, eine im Westen von München. Wir haben schon Kontakt aufgenommen für den Fall, dass wir Hilfe brauchen bei der Übersetzung, beim Verstehen von Mentalitäten. Wir sind sehr variabel und in der Lage, alles zu handhaben.

Helfer Uwe Hiller: Der Andrang der freiwilligen Helfer bei der Gründung des Helferkreises im Karlsfelder Bürgerhaus war groß.

Der Andrang der freiwilligen Helfer bei der Gründung des Helferkreises im Karlsfelder Bürgerhaus war groß.

(Foto: Toni Heigl)

Heißt das, Sie haben jetzt genug Helfer?

Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie viele Flüchtlinge schlussendlich in die Gemeinde Karlsfeld kommen. Wir sehen ja alle, was sich am Hauptbahnhof in München abspielt, was sich an den deutschen Grenzen abspielt, wie viele also noch auf dem Weg nach Europa sind. Deswegen ist es uns wichtig, unseren Mitbürgern zu sagen: Seid bereit, beachtet, was in den Medien passiert. Bei uns melden sich täglich bis zu zehn neue Leute im Helferkreis. Die Bereitschaft, zu helfen, sollten wir auch auf diesem hohen Level halten, weil die 500 Flüchtlinge, die zu uns kommen, bestimmt nicht das Ende der Fahnenstange sind.

Würden Sie den Satz der Kanzlerin unterschreiben "Wir schaffen das"?

Ganz sicher schaffen wir das, deswegen sind wir doch angetreten. Wir erleben es ja auch: Egal, an welcher Tür wir anklopfen, die Menschen sind offen. Das fängt bei der Landesregierung an, geht über die Verantwortlichen im Landratsamt. Der Bürgermeister, der gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt ist und wahrscheinlich einen vollen Schreibtisch hat, hat sich die Zeit genommen, zu unserem Treffen zu kommen und sich unsere Probleme anzuhören. Was wir momentan erleben, ist eine extreme Form der Hilfsbereitschaft und Unterstützung, speziell auch in den Behörden. Wir haben absolute Unterstützung. Das macht uns stolz und dankbar.

Augenblicklich herrscht große Euphorie. In Karlsfeld wird man sich aber noch viele Jahre um Flüchtlinge kümmern müssen. Wie wollen Sie die ehrenamtlichen Helfer so lange bei der Stange halten?

Wenn Sie gedacht haben, dass Sie als Medienvertreter ohne Aufgabe und Funktion aus dieser Geschichte herauskommen, muss ich Sie enttäuschen: Es wird ganz wesentlich von der Berichterstattung abhängen, wie Menschen reagieren. Wir leben nun mal in einer Mediengesellschaft, in der Meinungsbilder auch geprägt werden können. Deswegen ist es uns ganz wichtig, die Medien mit einzubinden. Wir brauchen sie! Wir brauchen sie als Sprachrohr und als Transportmedium für Information. Wir sind uns natürlich bewusst, dass in der Medienwelt immer Wellenbewegungen stattfinden. Unser Anliegen ist es, das Thema oben zu halten.

Warum war es dem Helferkreis so wichtig, die Arbeit schon aufzunehmen, bevor überhaupt Flüchtlinge da sind?

Im Helferkreis sind viele Eltern, und als Eltern wissen sie, dass es ihre primäre Aufgabe ist, sich in der Erziehung ihrer Kinder überflüssig zu machen. Genau dasselbe versuchen wir zu realisieren, indem wir uns, speziell im Bereich der Koordinatoren, gut vorbereiten und die Arbeit vorher machen. Unser Ziel muss es sein, den Menschen, die zu uns kommen, den Weg in die Selbständigkeit zu ebnen. Wir versuchen, ihnen in relativ kurzer Zeit die Perspektive zu geben, sich selbständig in dieser Gesellschaft zu bewegen. Das fängt bei ganz banalen Dingen wie Merkblättern für Fahrradfahrer an. Wir müssen davon ausgehen, dass viele Flüchtlinge unsere Verkehrszeichen nicht kennen. Mit anderen Helferkreisen, mit Fachleuten im Asylbereich beim Landratsamt oder der Caritas, tauschen wir uns aus, um genau diese Informationen aufzunehmen.

Helfer Uwe Hiller: "Wir Koordinatoren sehen uns als Dienstleister in der Gruppe, nicht als Chefs": Uwe Hiller sieht sich als Bürger in der Pflicht.

"Wir Koordinatoren sehen uns als Dienstleister in der Gruppe, nicht als Chefs": Uwe Hiller sieht sich als Bürger in der Pflicht.

(Foto: Toni Heigl)

Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle? Als Anführer wollen Sie ja auf keinen Fall gelten?

Überhaupt nicht, das Gegenteil ist der Fall. Wir versuchen, die allseits bekannte Entscheidungspyramide, in der es oben die Geschäftsführung gibt, darunter die verschiedenen Abteilungsleiter und die Mitarbeiter ganz unten, umzudrehen. Wir sind auf Interaktion mit den Flüchtlingen angewiesen, wir müssen ihre Nöte kennen, wir müssen wissen, was sie brauchen. Dafür haben wir die Arbeitsgruppen, die sich mit den Flüchtlingen tagtäglich auseinandersetzen. Wir als Koordinatoren verstehen uns als Dienstleister unterhalb dieser Gruppierungen und versuchen, ihnen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen, um auch Dinge gegenüber Dritten zu erreichen. Wir versuchen, Informationen zu filtern und zu kanalisieren. Unser Job ist die Kontaktaufnahme und der Informationsaustausch mit den Behörden, sprich Landratsamt und Gemeinde. Leistung in einer dienenden Haltung erbringen, das ist uns ganz wichtig. Wir sind hier nicht die Chefs.

Klingt nach modernem Managementkonzept. Kommt das aus Ihrem Beruf?

Dieses Prinzip der umgedrehten Pyramide ist ein biblisches, aber interessanterweise auch ein Führungsprinzip, das japanische Unternehmen vor etwa 25 Jahren entwickelt und damit sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Ich bin damit selbst vor 15 Jahren erstmals konfrontiert worden. Für mich ist die Umsetzung auch im beruflichen Umfeld grandios, weil sie glückliche Kunden hinterlässt. Die Grundakzeptanz ist eine deutlich höhere, das Grundverständnis ist ein ganz anderes, die Menschen sind offener in der Kommunikation. Damit vermeiden wir einen Reibungsverlust, der in der anderen Struktur relativ schnell auftritt, zum Beispiel wenn Menschen mit Entscheidungen nicht einverstanden sind. Und für Leute, die sich profilieren wollen, ist es eine extrem schwierige Struktur. Wir wollen den Menschen die Ehre geben, die an Ort und Stelle arbeiten.

Im Internet kommt es leider immer wieder vor, dass Asylhelfer für ihr Engagement geschmäht werden nach dem Motto: Habt ihr nichts wichtigeres zu tun?

Das Selbstbewusstsein derer, die sich engagieren, ist heute auf einem Niveau, dass viele Dinge abtropfen. Manche betrachten solche negativen Reaktionen natürlich mit Sorge. Das führt auch bei uns zu Fragen wie: Inwieweit wollen wir uns als Helfer kenntlich machen? Wir haben für uns die Lösung gefunden, dass wir kleine Namenskarten ausgeben, die jeder für sich selbst beschriften kann. Wer will, kann seinen kompletten Namen draufschreiben oder auch nur den Vornamen oder sich nur in einer bestimmten Arbeitsgruppe darstellen. Das versuchen wir offenzuhalten. Kritik werden wir ertragen.

Was sagen Sie denen, die die Aufnahme der Flüchtlinge als ein Problem betrachten?

Wenn es uns gelingt, die Flüchtlinge schnell zu integrieren und zu Teilnehmern dieser Gesellschaft zu machen, können wir unserem größten Problem entgegenwirken: dem demografischen Wandel. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Um unser Einnahmenniveau im Sozialbereich halbwegs zu halten, bräuchten wir nach den Zahlen der Bertelsmann-Stiftung eine Zuwanderung von etwa 500 000 bis 800 000 Menschen im Jahr - und das über die nächsten 20 Jahre! Das ist eine Realität, mit der muss man sich auseinandersetzen. Und wenn Sie sich die Bilanz der letzten 40 Jahre in der Bundesrepublik ansehen: Diese Mär, dass uns die Ausländer auf der Tasche liegen, ist schlicht und einfach falsch. Die Zahlen sagen etwas ganz anderes.

Zur Person

Uwe Hiller ist Diplom-Ingenieur im Bauwesen und arbeitet auf dem Gebiet der Eisenbahn-Infrastruktur. Der 55-Jährige begleitet weltweit Projekte in Europa, Südostasien, Australien, Nordamerika. Seine Firma SIC Infraconsult hat ihren Sitz seit November 2014 im Dachauer Gewerbegebiet. Hiller lebt seit elf Jahren im Landkreis, zunächst in Dachau, seit 2007 in Karlsfeld. Er ist verheiratet und hat vier Kinder und engagiert sich in den internationalen Gemeinden der evangelischen Kirche. Im Helferkreis Karlsfeld leitet er die Arbeitsgruppe für Koordination und hat damit auch die Funktion des Sprechers inne. GSL

Wie sollte man mit denen umgehen, die trotzdem gegen die Aufnahme der Flüchtlinge sind? Diskutieren oder ignorieren?

Natürlich ist auch bei uns diskutiert worden, wie wir mit Kritik umgehen wollen. Unsere Überlegung war: Wir wollen primär niemand ausgrenzen, wir würden uns der Diskussion stellen. Zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn es in einen rassistischen Bereich hineingeht, sind Grenzen erreicht, dann ist es an Polizei und Staatsanwaltschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ansonsten ist es Teil unserer Außendarstellung, Überzeugungsarbeit zu leisten. Natürlich ist die Handhabung vieler Dinge in Ländern wie Syrien oder Afghanistan anders als hier, aber das ist eine Frage des Gegenseitig-Aufeinander-Zugehens. Solange es uns gelingt, die Menschen im Grundsatz offen zu halten, sich mit Neuem auseinanderzusetzen, ist das Risiko, dass sie in Rassismus abgleiten, überschaubar. Aber wir sind nicht naiv. Wenn Extremfälle auftauchen, ist unser Job vorbei.

Was war eigentlich für Sie persönlich ausschlaggebend, sich im Helferkreis Karlsfeld zu engagieren?

Erster und wesentlicher Grund: Ich bin aktiv in der evangelischen Kirche; das Thema Nächstenliebe hat für mich entsprechend hohe Priorität. Zweiter Grund: Mein Vater war Flüchtling und Vertriebener aus den deutschen Ostgebieten. Und dritter wesentlicher Punkt: Ich bin beruflich bedingt sehr viel in der Welt unterwegs und erlebe eine für mich sehr unerwartete Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft nahezu überall - völlig unabhängig von politischen Systemen. In dem Moment, in dem man auf Menschen persönlich zugeht, erfährt man diese Hilfsbereitschaft, das ist ein großer Motivationsfaktor. Wir wissen, dass Deutschland in Europa und in der gesamten Welt nun viel stärker integriert ist als früher. Das versuchen wir auch zu leben. Das hat nichts mit Politik zu tun oder mit Parteien, das ist ein persönliches Engagement der Bürger, die sich einbringen, weil es unsere Werte widerspiegelt.

Interessierte können sich über die Kontaktformulare auf der Homepage hk-karlsfeld.de oder per E-Mail an info@hk-karlsfeld.de beim Helferkreis melden oder sich schriftlich über die Postanschrift der Gemeinde Karlsfeld, Gartenstraße 7, 85757 Karlsfeld, an den Helferkreis wenden.

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