Hebertshausen:Der Kümmerer

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Man dürfe die Flüchtlinge nicht sich selbst überlassen: Hugo Hildebrand, pensionierter Chirurg. (Foto: Toni Heigl)

Warum sich der 73-jährige Arzt Hugo Hildebrand aus Hebertshausen ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert

Von Angelika Aichner, Hebertshausen

Schwerfällig setzt Hugo Hildebrand, 73, sich hin, streicht seinen grauen Wollpullover zurecht und deutet auf einen dicken Ordner vor sich. "Das sind die Patienten, um die ich mich kümmere", sagt er. Nicht als behandelnder Arzt - er engagiert sich ehrenamtlich im Helferkreis Asyl Hebertshausen. Er begleitet die Flüchtlinge zum Arzt, dolmetscht, erklärt ihnen das deutsche Gesundheitssystem, mit dem er vertraut ist, weil er jahrelang als Chirurg arbeitete; zunächst als Assistenzarzt im Klinikum Neuperlach in München, später als Oberarzt im Amper-Klinikum Dachau.

Hugo Hildebrand blättert eine Seite nach der anderen um, bis er zur Akte einer kosovarischen Frau gelangt. Sie sah sehr schlecht, deswegen fuhr er mit ihr und ihrem Ehemann ins Krankenhaus. Einen ganzen Tag lang warteten sie dort auf die Diagnose. Die Patientin werde ihr Augenlicht vollkommen verlieren, dagegen könne man nichts machen, erklärte der zuständige Arzt. "Der Asylantrag, den das Ehepaar gestellt hatte, wurde abgelehnt; mittlerweile wurden beide abgeschoben", sagt Hildebrand. Wie es der Frau momentan gehe, wisse er nicht. Der Kontakt brach ab, nachdem sie die Asylbewerberunterkunft in Hebertshausen verlassen musste.

Die Menschen, denen er dort begegnet, eint, dass sie aus Ländern flohen, in denen ein humanes Leben für sie unmöglich war. "Ein junger Mann erzählte mir, dass er dabei zugesehen habe, wie seine Eltern ermordet wurden", sagt Hildebrand. Von dem, was sie in ihren Herkunftsländern und auch während der Flucht erlebten, sind viele traumatisiert. "Ihr Leben lang werden sie die Erinnerungen daran nicht loswerden", sagt er. Manche machen eine Therapie, einige stehen unter Psychopharmaka. Bei einem 30 Jahre alten Mann aus Nigeria wurde eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Er hörte Stimmen, fühlte sich verfolgt. Nach einem sechswöchigen stationären Aufenthalt ging es ihm besser, die Medikamente muss er nach wie vor nehmen, um einen Rückfall vorzubeugen.

Jeder Flüchtling, der in Bayern ankommt, wird zunächst untersucht - auch um zu verhindern, dass sich Infektionskrankheiten ausbreiten. "Ob diese Untersuchungen sehr gründlich gemacht werden, weiß ich nicht", sagt Hugo Hildebrand. Fest stehe, dass das bei den vielen Menschen, die ankommen, schwierig sei. Mit Infektionskrankheiten wie Hepatitis und HIV kann man sich nur durch den Austausch von Körperflüssigkeiten anstecken. Deswegen schätzt er die Ansteckungsgefahr für die freiwilligen Helfer als gering ein. "Gefährlich wird es nur dann, wenn die Betroffenen selbst nicht wissen, dass sie krank sind", sagt Hildebrand. Vor einigen Monaten wurde eine Nigerianerin, die in Hebertshausen lebt und mit dem HI-Virus infiziert ist, schwanger. Sie hatte bereits ein Kind tot geboren und wollte das Baby bekommen. Hugo Hildebrand kümmerte sich während der Schwangerschaft um sie; er begleitete sie nach München zur Sprechstunde für HIV-infizierte Patientinnen und fuhr sie ins Krankenhaus, als die Wehen einsetzten. "Das Kind war nicht mit dem HI-Virus infiziert", sagt er, weil sie während der Schwangerschaft die entsprechenden Medikamente eingenommen habe: "You have to take your drugs", habe er ihr wieder und wieder gesagt.

Hugo Hildebrand klappt die Mappe zu. Was er darin notiert hat, hört sich unfassbar an und erzählt doch aus dem Leben der Menschen, die in der Asylbewerberunterkunft in Hebertshausen leben. Er kümmert sich um sie, weil sie Menschen sind. Sein Credo lautet dabei "Hilfe zur Selbsthilfe". Gebetsmühlenartig sage er zu ihnen: "You have to learn German. And you have to work." Nur dann könne Integration gelingen. "Natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Vielleicht dauert es Jahrzehnte, bis die Menschen in Deutschland an-kommen; manche schaffen es vielleicht nie." Aber auf keinen Fall dürfe man in Deutschland dieselben Fehler machen wie in Frankreich: "Die Leute in den Pariser Vorstädten werden so gut wie sich selbst überlassen." In Deutschland wurden in diesem Jahr bisher eine Million Flüchtlinge registriert. "Bei etwa 80 Millionen Einwohnern ist das nicht viel", sagt Hugo Hildebrand. Man müsse sich aber um die Menschen kümmern und dürfe sie nicht sich selbst überlassen.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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