Haimhausen:Die neue Janet Bens

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Janet Bens in der Kulturkreiskneipe von Haimhausen. (Foto: Toni Heigl)

Die Sängerin und Schauspielerin beendet den Poetischen Herbst mit einem Liederabend als große Oper

Von Dorothea Friedrich, Haimhausen

Autobiografisches erzählt man, schreibt es auf oder singt darüber. Janet Bens hat sich am Freitagabend in der voll besetzten Kulturkreiskneipe Haimhausen für Musik und Poesie entschieden. Mit ihrem Chansonabend unter dem Titel "Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will" endete der diesjährige Poetische Herbst von Landkreis und Dachau Forum unter dem Motto: "Autobiografien im Landkreis".

Nun ist die ausgebildete Opernsängerin und Schauspielerin Janet Bens zwar in Bautzen geboren und von Berlin geprägt, aber als festes Ensemblemitglied des Hoftheaters Bergkirchen seit zehn Jahren im Landkreis präsent und bekannt. So bekannt wie ihre Liebe zum Chanson und den Hits der zwanziger und dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die in den Hoftheater-Produktionen immer wieder zu hören sind. Das traf auch am Freitagabend zu - aber ganz anders als erwartet. Schwarzes, schulterfreies Outfit, rote Lippen, kurze Haare, kein Schmuck bis auf eine riesige schwarze Stoffrose: Da steht tatsächlich eine Frau, die weiß, was sie will, auf der Bühne. Souverän zitiert sie Bert Brechts wunderbar ironische "Gedanken eines Revuemädchens während des Entkleidungsaktes" oder das bedrückende "Selbstgespräch einer Schauspielerin beim Schminken". Janet Bens macht sich mit Erich Kästner über "Sogenannte "Klassefrauen" lustig und führt ganz im Sinne von Mascha Kaléko ein "Interview mit mir selbst". Sie singt von der Liebe, berlinert mit Lust und bekennt "Ich bin verrückt nach jedem neuen Pianisten", weil sie denselben gefühlvoll um die Ecke zu bringen gedenkt. Natürlich will sie ihren eigenen Pianisten nicht wirklich ins Jenseits befördern.

Das wäre nämlich ein großer Fehler. Denn Boris Stannek ist ein einfühlsamer und zugleich eigenständiger Kompagnon am Klavier, für den die sonst übliche Bezeichnung "Begleiter" viel zu tief gegriffen wäre. Stannek, gebürtiger Dachauer, hat bereits in den legendären Musicals des Ignaz-Taschner-Gymnasiums Klavier gespielt, hat eine klassische Ausbildung, ist aber mittlerweile in den unterschiedlichsten Genres als Komponist, Solist oder Bandmitglied am Klavier, am Schlagzeug und oder an der Gitarre zu Hause.

Er lässt sich voll auf die "ollen Kamellen" mit aktueller Aussage ein. Da geht es immer wieder um wahre Gefühlsuniversen, um Verrat, um Selbstfindung und Selbstbehauptung, mal dramatisch, mal geradezu hinterlistig. Wer beispielsweise glaubt, Friedrich Hollaenders "Kinder, heut' Abend such ich mir was aus" handele von weiblichen Shoppingtouren, irrt gewaltig. Gesucht wird vielmehr der Mann für eine Nacht oder mehr. Der Song aus den Dreißigern "Wegen Emil seine unanständ'ge Lust" ist dagegen keine keusche Beschreibung irgendwelcher sexueller Aktivitäten, sondern die wort- und stimmgewaltige Verweigerung jeglicher vom Möchtegern-Herrn des Hauses gewünschten Schönheitsoperationen.

Unzählige Diseusen sind "Surabaya-Johnny" und "Seeräuber-Jenny" von Kurt Weill/Bertold Brecht verfallen. Janet Bens auch. Immer wieder tauchen die beiden Songs von der hoffnungslosen Liebe und der kalten Rache in ihren Programmen auf. Doch so wie am Freitagabend waren sie von ihr bisher nicht zu hören: Das war große Oper - und ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass sich die Sängerin gewissermaßen neu erfunden hat. Sie lotet mit enormem Feingefühl jeden Ton, jedes Wort aus. "Sie ist ein herrliches Weib", singt sie - und ist in diesem Moment Lola Blau, die tragische Protagonistin in Georg Kreislers bitterbösem Musical von Flucht und Heimkehr ohne Happy End. Und dann wird aus der Diva auf der Bühne das dicke hässliche Entlein Marie. "Du bist schön, auch wenn du weinst" singt Marie tröstend in Volker Ludwigs Musical "Linie 1".

Janet Bens verwandelt sich bald darauf in Edith Piaf, die sie im Hoftheater Bergkirchen demnächst (Samstag, 3. Dezember) zum hundertsten Mal singen und spielen wird. Aus dem gleichnamigen Musical stammt auch der passende Schlusssong dieses lebensprallen Chanson-Abends: "Non je ne regrette rien - Nein ich bereue nichts", nicht einmal, dass es heutzutage nur noch Männer als Weicheier und keine Neandertaler mehr gebe, wie das Duo Bens-Stannek in der Zugabe lebhaft und ironisch bedauerte.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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