Griechen in Dachau:"Kaputtsparen ist keine Lösung"

Die im Landkreis lebenden Griechen verfolgen die Entwicklung in ihrem Heimatland mit Sorge. Keiner befürwortet einen Austritt aus der Eurozone, zugleich lehnen viele die harten Sparauflagen der EU ab

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Griechenland steht erneut vor einem Umbruch. Vor einer Woche sind Verhandlungen zwischen den Geldgebern des Krisenlands aus Brüssel und Unterhändlern der griechischen Regierung gescheitert. Ministerpräsident Tsipras kündigte ein Referendum an: Er will die Griechen über den Vorschlag der Kreditgeber abstimmen lassen. Stimmt die Bevölkerung mit Ja, könnte Tsipras möglicherweise zurücktreten. Wohl keiner der im Landkreis Dachau lebenden Griechen wird mit entscheiden. Denn abgestimmt werden kann nur direkt in Griechenland, eine Briefwahl gibt es nicht. Aus der Ferne verfolgen die Dachauer Griechen aber das Geschehen - teils sorgenvoll, teils kämpferisch und vor allem in der Hoffnung, dass es nicht zu einem Ausstieg Griechenlands aus dem Euro kommt.

"Irgendwas sagt mir, dass es doch keinen Volksentscheid geben wird", sagt Georgios Andreadis, der im Vorstand des Dachauer CSU-Kreisvorstandes sitzt, "ein Bauchgefühl." Er hält die Ankündigung des Referendums ohnehin nur für einen Versuch, Druck auf die EU auszuüben. Am Freitag sollte der Staatsrat, das höchste Verwaltungsgericht Griechenlands, über die Zulässigkeit des Referendums entscheiden; bis Redaktionsschluss lag das Urteil allerdings noch nicht vor. Chrissi Tsigas-Vichos berichtet von Stimmen aus Griechenland, nach denen der Ministerpräsident schon lange vorgehabt habe, den Euro zu verlassen. "Man kommt sich manchmal komisch vor, weil man nicht versteht, was da passiert", sagt die Lehrerin. "Steckt da ein Plan dahinter, den man nicht kennt?" Auch Sophie Kyriakidou weiß nicht so recht, wie sie das politische Hin und Her der letzten Monate einschätzen soll. Deshalb mag sie auch nicht spekulieren, wie sich die Griechen am Sonntag entscheiden werden. Auch bei ihnen, sagt die SPD-Stadträtin, herrsche Verwirrung. "Ich glaube, viele Leute sind nicht gut genug informiert, viele sind ratlos."

Griechen in Dachau: So gut ist die Stimmung bei den Griechen inzwischen nicht mehr: Szene vom deutsch-griechischen Abend im Saal des Pfarrheims Mariä Himmelfahrt.

So gut ist die Stimmung bei den Griechen inzwischen nicht mehr: Szene vom deutsch-griechischen Abend im Saal des Pfarrheims Mariä Himmelfahrt.

(Foto: Toni Heigl)

Alle, die Kontakt zu Freunden, Verwandten und Bekannten in Griechenland haben, berichten von großer Unsicherheit in der Bevölkerung. "Die Stimmung ist im Keller", sagt Athanasios Krekis von der griechischen Gemeinde Karlsfeld. Tsigas-Vichos kann sich nicht vorstellen, in Griechenland zu leben, "so, wie es dort im Moment ist." Manch ein Dachauer äußert leise Bedenken, ob die Stimmung nicht in gewaltsame Proteste umschlagen könnte - je nachdem, wie das Referendum ausgehe. "Das wird eine fifty-fifty-Sache mit dem Ergebnis", sagt Tsigas-Vichos. Könnte sie abstimmen, würde sie für den Vorschlag der Geldgeber stimmen, also mit ja. Nicht, weil sie von den Programmen inhaltlich so überzeugt wäre, sondern weil sie will, dass Griechenland Teil der Eurozone bleibt.

Eigentlich wird am Sonntag über einen Vorschlag abgestimmt, den es gar nicht mehr gibt. Die Institutionen haben ihr Angebot zurückgezogen. Deshalb soll der Volksentscheid nun eine Grundsatzentscheidung über zukünftige Verhandlungen sein. Ministerpräsident Tsipras, sagt Tsigas-Vichos, stelle das Referendum vor den Griechen so dar: entweder Euro und Sparmaßnahmen oder Austritt und Glückseligkeit. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen das glauben." Am Samstag hat sie die Debatte über das Referendum im griechischen Parlament live verfolgt. Was die Abgeordneten und Minister vorgebracht hätten, sei unverständlich, aber auch ernüchternd gewesen.

Die Dachauer Griechen sind sich einig, dass ihr Heimatland Teil der Eurozone bleiben soll. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, welche Auflagen dafür akzeptiert werden sollen - und wer Schuld an der Eskalation hat. Athanasios Krekis bezeichnet die Auflagen der Institutionen als "nicht gerecht" und spricht von Mobbing durch Medien und Politiker wie den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Es seien die einfachen Leute, die unter den Sparvorgaben litten: Seit Anfang der Woche bilden sich lange Schlangen vor den Geldautomaten. Die griechische Zentralbank hat Kapitalkontrollen eingeführt. Nicht mehr als 60 Euro am Tag können die Griechen nun abheben. "Eine Freundin wollte am Freitag Geld abheben, weil sie Rechnungen bezahlen musste", berichtet Chrissi Tsigas-Vichos, "sie hat es aber nicht mehr rechtzeitig geschafft." Ein anderer Freund ist Rechtsanwalt. Viele Mandanten könnten sein Honorar nicht bezahlen. Häufig, berichtet Tsigas-Vichos, sagten sie ihm das erst im Nachhinein. "Er hat dann umsonst gearbeitet, aber wenn die Leute nichts haben, kann man nichts holen." Ein befreundeter Arzt, der monatelang kein Gehalt überwiesen bekommen habe, sei inzwischen nach Deutschland ausgewandert.

"Es stimmt nicht, dass die Griechen faul sind", sagt Tsigas-Vichos. "Viele kämpfen und versuchen, selbständig etwas auf die Beine zu stellen." Die Reichen seien derweil noch reicher geworden, ergänzt Athanasios Krekis, die hätten ihr Geld schon längst weggeschafft. "Tsipras wollte zu schnell zu viel", sagt Georgios Andreadis. Der Ministerpräsident habe eine Hau-Ruck-Politik betrieben. Trotzdem müsse sich die EU Gedanken machen, wie sie dem Land wirklich helfen könne. "Nicht mit Krediten und Sparmaßnahmen, sondern mit Investitionen." Kaputtsparen, findet auch Stadträtin Kyriakidou, sei nicht die Lösung. Griechenland und die EU brauchten sich gegenseitig. Wobei manche den Eindruck erwecken, die EU brauche Griechenland mehr als umgekehrt: Athanasios Krekis bringt Russlands Einfluss ins Spiel. Die EU müsse aufpassen, dass sie Griechenland nicht an Russland verliere.

Einen Grexit, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, will niemand. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Politiker keine Lösung finden, wenn sie eine finden wollen", sagt Tsigas-Vichos. Auch Athanasios Krekis demonstriert Zuversicht. "Ich bin überzeugt, dass das griechische Volk für Europa ist", sagt er. "Vielleicht mehr als die Deutschen."

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