Ágnes Heller:Philosophin in Dachau

Agnes Heller bei der SZ-Podiumdiskussion in München, 2015

Ágnes Heller verbringt noch mit 88 viel Zeit auf Reisen: Vorlesungen, Gespräche, Kongresse - oder Preisverleihungen in ganz Europa und den USA.

(Foto: Johannes Simon)

Vorlesung und Gespräch mit Ágnes Heller aus Budapest

Von Helmut Zeller, Dachau

Ihr ganzes Leben hat die ungarische Philosophin Ágnes Heller, 88, eine Antwort gesucht - auf die Frage, wie konnte Auschwitz geschehen? Als 15-jähriges Mädchen entging sie selbst nur knapp dem Holocaust in Budapest. Ágnes Heller, die bedeutendste Philosophin der Gegenwart, kommt am 16. Februar zu einer Lesung und einem Gespräch ins Karmel-Kloster. Im Zentrum steht ihre nun als Buch vorliegende Vorlesungsreihe: "Die Welt der Vorurteile - Geschichte und Grundlagen für Menschliches und Unmenschliches". In unzähligen Büchern hat sich die ehemalige Schülerin von Georg Lukács mit dem Schrecken der Moderne auseinandergesetzt. Ágnes Heller hat die Nazis überstanden und auch die Verfolgung durch die kommunistische Partei, nachdem sie sich an der ungarischen Revolution von 1956 beteiligt hatte. Nach Berufsverbot und Bespitzelung durch die Geheimpolizei emigrierte sie 1977 als Professorin für Soziologie nach Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf dem Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

Ágnes Heller lebt heute in Budapest. Sie zeigt, wie Vorurteile entstehen, fragt nach gesellschaftlichen und psychologischen Voraussetzungen und analysiert die grundlegenden Vorurteile der Moderne. In Dachau führt sie vor Augen, was sie auch persönlich im 20. und 21. Jahrhundert erlebt hat und noch erlebt: einen ganzen Kosmos von Vorurteilen. Ágnes Heller geht auch auf den Rechtsruck in Europa und die Instrumentalisierung von Vorurteilen in der Politik ein. Sie zählt zu den schärfsten Kritikern des ungarischen Regierungschefs: "Orbán vergiftet die Seele der Ungarn, weil sie von ihm hassen lernen", sagt sie. Der Rechtspopulismus erstarkt nicht nur in Ungarn, sondern auch in Deutschland, Österreich, Frankreich und jetzt in den USA. Im Umgang mit den Flüchtlingen fiele den Kirchen viel Verantwortung zu.

Ágnes Heller sagt: "Franziskus tut alles, was er tun kann. Ich glaube, in Italien hat er doch einen Einfluss gehabt. Aber... die ungarische Kirche liebt Franziskus überhaupt nicht." Ágnes Heller ist eine Philosophin, die sich in die Politik einmischt, ihre Philosophie ist anwendbar auf aktuelle Fragen. Sie hofft auf eine Zeit nach Orbán und Trump, wenn Flüchtlingen mit Respekt begegnet wird, wie einst den ungarischen Flüchtlingen von 1956. Die Veranstaltung wird von Björn Mensing, Historiker und Pfarrer der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, moderiert. Sie findet im Kloster Karmel Heilig Blut, Alte Römerstraße 91, um 19.30 Uhr statt.

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