Geschichten, die Mut machen:Dunkelheit ist wunderbar

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Ein paar Plüschtiere und eine Schublade: Lutz Großmann braucht nicht viel, um die jungen Besucher zu fesseln. (Foto: Toni Heigl)

Puppenspieler Lutz Großmann zeigt den Kindern im Leierkasten, wie man Ängste vertreiben kann

Von Daniela Gorgs, Dachau

Monster, Hexen, Zombies unterm Bett - Kinderängste gibt es genug. Lutz Großmann hat all diese hässlichen Gedanken in eine grüne Kommode gepackt. Vorsichtig öffnet er die erste Schublade. Heraus kommt die Angst vor der Dunkelheit, die die kleine Nadja nicht einschlafen lässt. Hellwach liegt sie in ihrem kleinen Bettchen und weint. Die Eltern verzweifeln. So vieles haben sie schon ausprobiert: Tür geöffnet, Nachtlampe angemacht, Schlaflied gesungen. Hat alles nichts geholfen. Nadja hat Angst, im Dunkeln verloren zu gehen.

Mit viel Feingefühl erzählt der Puppenspieler Lutz Großmann den Kindern in der Friedenskirche, wie Nadja die Angst vor der Dunkelheit überwindet. Und welche Rolle der belesene Onkel aus dem Erzgebirge dabei spielt. Onkel Gabriel, ein Wunderling, bringt seiner Nichte einen Plüschpinguin mit. Und der tritt der Angst mutig entgegen. Erklärt, woher die dunkle Nacht kommt und warum es gut ist, dass es sie gibt. Sonst würden die Pflanzen verdörren, die Flüsse austrocknen. Tiere und Menschen müssten sich unter der Erde verkriechen und dort wie ein Maulwurf leben, um sich vor dem immerzu brennenden Sonnenlicht zu schützen. Klingt logisch, also her mit der Nacht, die ihren breiten Mantel über die Erde wirft und die Natur mit Morgentau bedeckt. Was für eine wohltuende Erholung - auch für Nadja, die längst schläft.

Die Familientherapeutin Linde von Keyserlingk hat Geschichten gegen die Angst geschrieben. Jeder hat Angst vor irgendwas oder vor irgendwem - ob er will oder nicht. Meist ist es das Unbekannte, vor dem man sich fürchtet. Und weil für Kinder vieles unbekannt und neu ist, sind Ängste ständige Begleiter bei der Erforschung und Entdeckung ihrer Welt. "Wer keine Angst hat, kann auch nicht mutig sein", schreibt Linde von Keyserlingk.

Regisseur Tristan Vogt hat die "Geschichten für die Kinderseele" entwickelt und Puppenspieler Großmann erweckt sie auf der Bühne zum Leben. Er tritt zum ersten Mal für den Dachauer Leierkasten auf - und begeistert auf Anhieb mit großartiger Empathie. Die jungen Zuhörer vertrauen ihm. "Mach die nächste Schublade auf", rufen sie. Also gut. Die nächste Lade ist schmal, aber leer. Nein, halt, da kichert doch wer. Drei kleine Gespensterchen. Quasselstrippe, Klatschbase und Plappermaul. Sie flüstern dem Hasen-, Hamster-und Igelkind auf dem Weg zur Schule ein, dass sie versagen werden. Ich bin nix, ich kann nix, alle lachen über mich. Die unsichtbaren Gespenster haben größten Spaß daran, den Kindern mit mantramäßigem Einflüstern von Gedanken die Zuversicht zu rauben. Das Versagen ist programmiert. Die Schüler sind entmutigt, stottern beim Gedicht aufsagen, lassen den Kopf hängen. Wie gut, dass sie eine aufmerksame Lehrerin haben, die die Gespensterchen sehen kann und damit entlarvt. Und sie weiß auch, dass man düstere Gedanken mit frechen Mutmachsprüchen bekämpft.

Nächste Schublade: Frau Bär und Herr Hirsch heiraten. Sie bekommen zwei Kinder: Bärhirsch und Hirschbär. Frau Bär liegt am liebsten in einer Höhle herum, kratzt sich am kuscheligen Fell und schleckt Honig. Ihr Mann aber möchte immer hinaus in den Wald und stolz sein Geweih herzeigen. Der Hirsch nörgelt an der Bärenmutter herum, die ihm viel zu dick geworden ist. Sie streiten und vergessen dabei völlig, dass sie zwei Kinder haben. Bärhirsch und Hirschbär weinen, sie haben Angst, dass ihre Eltern sie nicht mehr lieben. Die Kinder fühlen sich hin- und hergerissen. Was, wenn die Eltern sich trennen? Die weise Eule hat ein Rezept gegen die Verlustangst. Ernst redet sie mit Mutter Bär und Vater Hirsch. Habt ihre eure Kinder völlig vergessen? Macht einen Plan, was ihr für sie tun wollt. Und den machen sie. Alle Tiere im Wald helfen mit, zwei neue Zuhause zu bauen. Ein warmes Lager in einer Berghöhle, in der beide Kinder mit der Mutter überwintern, und einen sicheren Platz im Wald unter einer Buche. Dort verbringen die Kinder den Sommer mit dem Vater.

Das Bühnenbild ist minimalistisch. Außer der grünen Schublade braucht Lutz Großmann noch einen Stuhl und zwei Scheinwerfer. Seine Figuren sind zauberhaft und witzig zugleich, seine Stimme spendet Trost, bringt die Kinder zum Lachen und zum Staunen. Das junge Publikum ist 45 Minuten lang so gefesselt, dass so mancher kleine Besucher am Ende noch gerne einen Blick in die anderen Schuladen geworfen hätte. Gibt ja noch mehr von diesen Ängsten, die völlig unnötig sind. Ein Trost ist, dass man lernen kann, sie zu überwinden.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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