Prozess vor dem Schöffengericht:Seit fünf Jahren traumatisiert

Im Alter von 14 Jahren soll eine heute 19-jährige Frau vergewaltigt worden sein. Sie erscheint nicht vor dem Amtsgericht, weil sie über das Erlebte bis heute aus Scham nicht reden kann

Von Daniela Gorgs, Dachau

Die Fragen des Vorsitzenden Richters verraten, dass ihm die Lebenswelt der Punkszene wenig vertraut ist. Der Angeklagte, der bis vor einiger Zeit noch zu dieser Szene gehörte, berichtet von seiner Geburtstagsfeier an einem See. Richter Lukas Neubeck fragt nach Namen. Doch der Angeklagte weiß nur die Spitznamen, was Neubeck verdutzt. Interessiert betrachtet der Richter die Tattoos des Angeklagten und die Piercings der Zeugen. Ein wenig grinsen muss er, als ein Zeuge das Alter einer Frau aus der Punkszene "zwischen 40 und über 50" schätzt. Doch bei der nachfolgenden Beschreibung zur Rolle dieser Frau innerhalb der Gruppe erstarrt Neubecks Gesicht. Die Bemerkung des Zeugen ist an Unflätigkeit kaum zu überbieten. Für einen Moment ist es sehr still.

Es ist ein langer erster Verhandlungsnachmittag. Ein 27-Jähriger aus dem Landkreis Dachau muss sich vor dem Schöffengericht wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Sein Opfer: eine heute 19-jährige Frau. Sie ist traumatisiert und erscheint als Hauptzeugin der Anklage nicht vor Gericht.

"Ich habe sie nie angerührt"

Im März 2012 soll der Mann die damals 14-Jährige vergewaltigt haben. Er war damals 22 Jahre alt. Die Staatsanwältin verliest, mit welch körperlicher Gewalt der Angeklagte das Mädchen zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben soll. Als sich der 27-Jährige zu den Vorwürfen äußern soll, lenkt er zunächst mit einem Nebenaspekt ab. Das Haus sei "nicht alleinstehend" gewesen. Die Staatsanwältin hatte den Tatort als "abgelegenes Haus" beschrieben. Zudem habe er die 14-Jährige nicht eingeladen, bei ihm im Zimmer zu übernachten. Das wäre von Vermieterseite sowieso nicht möglich gewesen. Der Angeklagte gab an, zusammen mit weiteren drei Mietparteien in einem Haus für Obdachlose gewohnt zu haben. Übernachtungsbesuch sei tabu gewesen. Zu den Vorwürfen äußert er sich knapp: "Ich habe sie nie angerührt." Und wiederholt diesen Satz zweimal.

Kennen lernte der Angeklagte das Mädchen nach eigenen Angaben an der Thalkirchner Brücke in München. Zwei- bis dreimal die Woche habe er sie gesehen, in Thalkirchen, am Marienplatz oder am Isartor. Das Schöffengericht erfährt, wo sich die Gruppe trifft, gemeinsam abhängt, Zigaretten raucht und Bier trinkt. Auf den Alkoholkonsum angesprochen erklärt der 27-Jährige, dass er in dieser Zeit bis zu einem Kasten Bier pro Tag getrunken habe. "Mal nur einen halben. Mal auch nur drei, vier Flaschen." Drogen, beteuert er, habe er nie konsumiert.

Der ehemalige Freund begleitet sie zur Polizei

Kurz vor der Tat hatte der damals 22-Jährige in der Nähe seiner Unterkunft Geburtstag gefeiert. Auch die 14-Jährige war dort gewesen. Das Schöffengericht tut sich schwer, herauszufinden, wer auf der Feier war und etwas zur Beziehung zwischen dem Täter und seinem Opfer sagen kann. Der Angeklagte spricht von elf bis zwölf Gästen. Mehr als Spitznamen kann er nicht liefern. Das Gericht ist erstaunt, dass der 27-Jährige nicht hilft, Zeugen zu finden. Das sei doch in seinem Interesse. Der Angeklagte winkt ab. Seine Gäste hätten sowieso keine Zeit gehabt, vor Gericht zu erscheinen. Das wiederum erstaunt Richter Neubeck: "Die sind also zeitlich groß eingebunden? In diesen Kreisen?"

Zwei Zeugen kommen. Beide hatten eine Beziehung mit der 14-Jährigen. Der eine, ein damals 24-jähriger Münchner, gehört nicht zur Szene. Ein knappes Jahr war er mit der 14-Jährigen liiert, erzählt er dem Gericht. Ein liebes Mädchen, das in den Arm genommen werden wollte. Im März 2015 habe sie ihm plötzlich auf dem gemeinsamen Heimweg von dem Vorfall drei Jahre zuvor in Dachau erzählt. Sie sei in Tränen ausgebrochen. Der Münchner sei schockiert gewesen und sofort mit ihr zur Polizei gegangen. Das Mädchen erstattete Anzeige. Daraufhin wurde der 27-Jährige vor dem Schöffengericht angeklagt.

Die junge Frau erscheint nicht vor Gericht

Die junge Frau ist die wichtigste Zeugin. Aber sie kommt nicht. Ihr Jugendpsychotherapeut sagt, dass er sporadisch Kontakt zu ihr habe. Seit drei Jahren versuche er ihr, bei der Aufarbeitung einer schweren Kindheit zu helfen. Immer wieder komme es zum Gespräch über die Vergewaltigung. Doch sei ihre Abwehr so stark, dass sie sich nicht damit auseinander setzen möchte. "Sie kann sich nicht öffnen." Sie empfinde Scham, wenn sie zu dem Vorfall befragt werde. Aber für das Gericht ist ihre Aussage so wichtig, dass die Verhandlung vertagt wird.

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