Gedenkveranstaltung zur Ermordung von Sowjetsoldaten:"Krieg darf wirklich nie wieder sein!"

Gedenkfeier Schiessplatz

Karl Boenhoffer bei der Gedenkrede für die 4000 sowjetischen Soldaten, die von der SS auf dem Schießplatz bei Hebertshausen ermordet wurden.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Arzt und Friedensaktivist Karl Bonhoeffer lässt seine Rede auf dem ehemaligen SS-Schießplatz in einen flehentlichen Appell münden

Von Maxi Köhler, Hebertshausen

Längst sind noch nicht alle Namen der 4000 sowjetischen Opfer bekannt, die von der SS auf dem Schießplatz bei Hebertshausen zwischen 1941 und 1942 ermordet wurden. Bisher weiß man von nur etwa 850 Namen, die auf fünf Streifenfundamenten in lateinischer und kyrillischer Schrift stehen. Die Fundamente zeigen in Richtung der Plätze, an denen die Nazis die Kriegsgefangenen in Fünferreihen erschossen haben. Bis heute arbeiten Geschichtswissenschaftler daran, die restlichen Namen der Opfer herauszufinden und sie dem "Ort der Namen" hinzu zufügen.

2014 wurde der Gedenkort am SS-Schießplatz in Hebertshausen neu gestaltet. Besucher können auf informativen Tafeln die Geschichte des Verbrechens gegen die Menschlichkeiten nachlesen. Außerdem erinnert der Förderverein für internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau seit 26 Jahren mit einer Gedenkveranstaltung an die sowjetischen Opfer des Nationalsozialismus.

Etwa 70 Gäste waren am Donnerstag gekommen, um der Opfer zu gedenken. Der Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, Ernst Grube, kritisierte in seiner Begrüßungsrede die geringe Aufmerksamkeit, die diesem Tag in den Medien geschenkt werde. Ihm liege am Herzen, dass dieser Gedenktag den Menschen noch stärker als bisher bewusst gemacht werde, sagte der Überlebende.

Zu den Besuchern zählte Andrei Kulazhanka, Generalkonsul von Weißrussland; Vertreter des Generalkonsulats Russland; die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann, der Präsident des Obersten Bayerischen Rechnungshofes, Christoph Hillenbrand, Marianne Klaffki (SPD), Stellvertreterin von Landrat Stefan Löwl (CSU) und Kai Kühnel, Stellvertreter von Oberbürgermeister Florian Hartmann. Dazu Gymnasiasten aus Wiesbaden, die sich auf einer Studienreise im Jugendgästehaus Dachau aufhalten und von Max-Mannheimer-Stiftung eingeladen wurden. Einige Tage zuvor hatten sie bereits mit Ernst Grube über die Zeitgeschichte diskutiert. Grube, der auch stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins ist, appellierte an sie und die Jugend in Deutschland überhaupt, zur Erhaltung eines solches Gedenktages beizutragen. Karl Bonhoeffer ist ein Neffe Dietrich Bonhoeffers. Der evangelische Theologe war am 5. April 1943 verhaftet und zwei Jahre später auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet worden. Sein Neffe war bis 1987 Direktor des Institutes für Anästhesie in Köln und Präsident des 6. Weltkongresses "Ärzte gegen den Atomkrieg". Seitdem betreibt er vor allem Friedensarbeit. Karl Bonhoeffer begann seine Gedenkrede mit den geschichtlichen Fakten und wurde während der Auflistung der schrecklichen Dinge, die er vortragen musst, zusehends wütender. Seine eigenen Worte gingen ihm selbst sichtlich zu Herzen: 27 Millionen Sowjetbürger kamen bei den "Vernichtungskriegen" der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler ums Leben. Zehn Millionen starben außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen. Sie wurden erhängt, erschossen, vergast oder verhungerten. Unter den zehn Millionen Toten waren vermutlich auch mehr als drei Millionen Kinder.

Doch Bonhoeffer begann den zweiten Teil seiner Rede mit einem Zitat aus dem Buch "Ich wundere mich, dass ich noch lebe" von Paul Kohl. Es handelte sich um Augenzeugenberichte von Überlebenden des "Vernichtungsfeldzuges" der Nazis. Sie erzählen von "brennenden Häusern", "zerschossenen Köpfen von Geschwistern" und "Massengräbern, aus denen Blut quillt". Die Schilderungen der Augenzeugen lassen Bonhoeffers Rede in die Frage münden, die auch der Titel seiner Ansprache ist: "Warum haben die Deutschen das getan?" Es ist eine Frage, die sich wohl alle stellen, die der Gedenkveranstaltung an diesem heißen Nachmittag beiwohnen. Bonhoeffer sagte: "Die Antwort ist ebenso einfach wie schrecklich: Sie haben es getan, weil auch sie nur ganz normale Menschen waren." Er erläutert Untersuchungsergebnisse aus den Sechzigerjahren von Stanley Milgram, einem US-amerikanischen Psychologen. Sie besagen, dass vermutlich eine Mehrheit von 70 Prozent aller Menschen bereit seien, andere bis auf den Tod zu quälen, wenn sie dazu von einer ihrerseits anerkannten Autorität aufgefordert würden und diese die Verantwortung für ihre Verbrechen übernähme. Karl Bonhoeffer schloss seine Rede mit dem fast flehenden Ausruf "Krieg darf wirklich nie wieder sein!" Dieser Satz begleitete die Zuhörer, als sie anschließend zum Mahnmal vortreten, um mit Blumen die Opfer zu ehren. Dort lagen auch bereits große Kränze.

Aus den hinteren Reihen kam zaghafter Applaus, als Ernst Grube die Veranstaltung schloss und allen Gästen für ihr Kommen dankte.

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