Gedenkstätten:Vorreiter der Barrierefreiheit

Die KZ-Gedenkstätte Dachau will behinderten Menschen einen uneingeschränkten Besuch der Einrichtung ermöglichen.Ihr ausgefeiltes Konzept könnte als Vorbild für alle NS-Gedenkorte in Deutschland dienen

Von Helmut Zeller, Dachau

Die KZ-Gedenkstätte Dachau ist nicht nur die meist besuchte in Deutschland - sie übernimmt jetzt auch eine führende Rolle für die Barrierefreiheit der zeitgeschichtlichen Museen und NS-Gedenkstätten. Das kündigte jetzt der Landtagsabgeordneten Karl Freller (CSU), Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, in einem Gespräch mit der SZ an. Der behindertengerechte Ausbau der Anlage wird Millionen von Euro kosten, wie Freller sagt. Die Finanzierung des Projekts muss noch geklärt werden. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann hat aber bereits ein umfassendes Konzept entwickelt, das blinden, gehörgeschädigten und gehbehinderten Menschen sowie Rollstuhlfahrern einen uneingeschränkten Besuch der KZ-Gedenkstätte erlaubt.

Nach Dachau kommen jährlich fast eine Million Besucher aus aller Welt. Darunter sind behinderte und viele ältere Menschen, Angehörige von NS-Opfern und nicht zuletzt auch Überlebende des Naziterrors, die den Ort noch einmal aufsuchen wollen. "Eine Barrierefreiheit an dieser Stätte ist unverzichtbar", erklärt Stiftungsdirektor Freller. Tatsächlich bemüht sich die Gedenkstätte schon seit ein paar Jahren und stellt etwa gehbehinderten Besuchern Elektro-Rollstühle bereit. Alle KZ-Gedenkstätten, sagt die Historikerin Hammermann, arbeiten daran, adäquate Voraussetzungen für den Besuch von Behinderten zu schaffen. Bei Neubauten, etwa den Museen in Bergen-Belsen, wird selbstverständlich auf Barrierefreiheit geachtet. Aber das Gelände vieler Einrichtungen stellt fast unüberwindbare Hürden dar. Zum Beispiel die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in Bayern. Wegen der eklatanten Höhenunterschiede auf dem Areal dürfte ein umfassender Umbau für Gehbehinderte nicht möglich sein. Freller zufolge will man dort einen Basisrundgang ermöglichen. Aber auch dafür könnte das Dachauer Modell eine Vorbildrolle übernehmen: Es sieht unter anderem ein Tastmodell des KZ Dachau für sehbehinderte Menschen gegenüber dem Besucherzentrum vor. Die Gäste erhalten einen tragbaren taktilen Übersichtsplan zur Ausleihe, Tastkoffer mit fünf Tastmodellen, etwa des Karteitisches oder des Schubkarrens. Weiter sind Gebärdensprachvideos auf Mini-App und Homepage sowie mobile Endgeräte vorgesehen. An ein Gebärdesprachdolmetscher ist vorgesehen und spezielle Ausbildungskurse für die Referenten. Auch an Lernbehinderte ist gedacht: Basisinformationen und Informationen zur Geschichte des Ortes und der Ausstellung werden auf Deutsch und Englisch in leicht verständliche Texte übersetzt.

Gedenkstätten: Das Besucherzentrum an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Gedenkstätte will jetzt ein größtmögliches Maß an Barrierefreiheit auf dem Gelände schaffen.

Das Besucherzentrum an der KZ-Gedenkstätte Dachau. Die Gedenkstätte will jetzt ein größtmögliches Maß an Barrierefreiheit auf dem Gelände schaffen.

(Foto: Jørgensen)

Und natürlich die klassischen Maßnahmen für eine Barrierefreiheit: Kanten werden für Rollstuhlfahrer angeglichen, Rampen zu den beiden nachgebauten Baracken und dem Museum mit sechs Prozent Gefälle und Parkplätze für Behinderte in der Nähe des Besucherzentrums gebaut. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann sieht Schwierigkeiten vor allem auf dem großen ehemaligen Appellplatz, der mit Kies bedeckt ist. Überhaupt müsse darauf geachtet werden, so Hammermann, dass das historische Gelände nicht überformt wird. Die Authentizität des Ortes soll nicht beeinträchtigt werden. "Bei Eingriffen in die historische Substanz ist sehr viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Denn es steht außer Frage, dass die Barrierefreiheit zu verbessern ist", erklärt Hammermann. So kann man das ganze Gelände nicht einfach asphaltieren. Doch die Gedenkstätte hat eine Lösung gefunden: Entlang des Baches wird ein Weg zu den ehemaligen Krematorien angelegt.

In Zusammenarbeit mit Irmgard Badura, der Behindertenbeauftragten des Landes Bayern, und ihrem Team, Behindertenverbänden, dem Staatlichen Bauamt in Freising und dem Amt für Denkmalschutz ist nun ein vorbildhaftes Modell entstanden. Fehlt noch die Finanzierung, laut Freller Millionenbeträge. Er hofft auf Geld vom Bund und vom Freistaat Bayern, als direkte Unterstützung oder über das Förderprogramm zur Barrierefreiheit an öffentlichen Gebäuden. Dazu gehören Freller zufolge auch KZ-Gedenkstätten. "Wenn wir das Konzept in beiden bayerischen KZ-Gedenkstätten umsetzen können, dann stehen wir mit Sicherheit in Deutschland an vorderer Stelle", sagt der Stiftungsdirektor. In Flossenbürg ist noch etwas geplant: Das Café an der Gedenkstätte soll gemeinsam mit einer Behinderteneinrichtung betrieben werden. Freller meint: "Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen."

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