Gedenken und warnen:Der Hass ist zurück

Gewerkschaftsjugend und Lagergemeinschaft Dachau warnen bei Gedenkfeiern vor der Rückkehr menschenverachtender Hetze.

Von Walter Gierlich, Dachau

Natürlich hat es in der Vergangenheit schon mehr Teilnehmer an den seit 1952 stattfindenden Gedenkfeiern der bayerischen DGB-Jugend zur Erinnerung an die Pogromnacht 1938 gegeben als am Sonntag. Doch selten war es bei diesen Veranstaltungen in der KZ-Gedenkstätte Dachau so verregnet und so kalt wie diesmal, so dass sich keine 200 Menschen einfanden, um des Vorspiels der Judenvernichtung in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Deutschland zu gedenken. "Erinnerung muss leben" lautete das Motto, unter das die Gewerkschaftsjugend die Gedenkfeier in diesem Jahr gestellt hatte, denn sie sei notwendig, um aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, wie die Bezirksjugendsekretärin des DGB Bayern, Astrid Backmann, in ihrer Ansprache sagte. Ebenso wie Hauptredner Michael Schmitzer, Bundesjugendsekretär der IG Metall, erinnerte sie noch einmal nachdrücklich an Max Mannheimer, einen der aktivsten Zeitzeugen, der Erinnerung noch als Person verkörpert habe und der am 23. September im Alter von 96 Jahren verstorben ist.

Beide Redner warnten vor einem zunehmenden Rechtsextremismus und Antisemitismus. Backmann forderte "eine lückenlose Aufklärung der NSU-Morde" genauso wie "ein endgültiges Verbot der NPD und anderer neonazistischer Parteien wie des Dritten Wegs oder Die Rechte und sonstiger neonazistischer Gruppen". Sie betonte zudem, dass "menschenverachtende Hetze" längst keine Randerscheinung mehr, sondern tief in der Gesellschaft verankert sei, wie der Aufstieg der AfD zeige, die bei Wahlen teilweise mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalte. "Und von solchen Wahlergebnissen fühlen sich dann leider immer mehr sogenannte besorgte Bürger ermutigt, den Worten auch Taten folgen zu lassen."

Eine aktuelle Studie zeige, dass es auch in Bayern ein erhebliches Potenzial für rechtes Denken gebe. "Die nicht verarbeitete ökonomische Krise in Europa und die Kriege auf der Welt mit den daraus resultierenden Fluchtbewegungen dienen als Anlass, um soziale Abstiegsängste in Ressentiments gegen Minderheiten zu kanalisieren", erklärte Backmann und erinnerte daran, "dass ähnliche Umbrüche damals den Boden für die faschistische Machtergreifung bereitet haben".

Test der Grenzen

Michael Schmitzer stellte in seiner Rede vor dem Krematorium fest, "dass es bei der Reichspogromnacht am 9. November 1938 um einen Test der Grenzen ging. Einen Test, den die deutsche Bevölkerung nicht bestanden hat." Denn nicht nur hätten Nazi-Horden die jüdische Bevölkerung angegriffen und seien plündernd, brandschatzend, räubernd und mordend durch Städte und Dörfer gezogen. "Das Schlimmste daran war die unverhohlene Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung, begleitet vom Schweigen des Rests", sagte er.

Knapp drei Jahre später, am 20. November 1941, sei der erste Zug mit 999 jüdischen Münchnern in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten gerollt. "Die Deportationen zogen sich bis in den Februar 1945 hin und ein großer Teil der Bevölkerung hat auch das schweigend akzeptiert."

"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Diese Worte Bertolt Brechts hätten ihre Gültigkeit nicht verloren, resümierte er. "Und mit dem Erstarken der AfD ist der Beweis für die Massentauglichkeit rechten Gedankenguts leider erneut vollbracht."

Junge Generation in der Pflicht

Schmitzer erinnerte daran, dass der vor sechs Wochen verstorbene Max Mannheimer immer dazu aufgerufen habe, aus der Vergangenheit zu lernen und für die Demokratie einzutreten. Die Lücke, die er hinterlassen habe, gelte es zu schließen. Schmitzer betonte: "Es ist die junge Generation - unsere Generation -, die das Erinnern nun wach halten muss." Und das Erinnern müsse helfen, "die richtige Sprache zu finden, wenn alte und neue Nazis aktuelle Entwicklungen dazu nutzen, ihr menschenverachtendes Gedankengut wieder hoffähig zu machen".

Auf dem Gelände des früheren KZ-Außenlagers Allach hielten der Bezirksausschuss 24 und die Lagergemeinschaft eine Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom ab. Der Stadtteilhistoriker Klaus Mai würdigte das Lebenswerk von Max Mannheimer. Gerade in dem Bemühen um eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Tausenden von Häftlingen dieses KZ auf Münchner Stadtgebiet arbeiteten Mai und Mannheimer eng zusammen. "Wir stehen hier vor der letzten Baracke, am Ort des Verbrechens in München und wollen der Verfolgten und Opfer des NS-Regimes gedenken und sie mit der Lesung ihres Namens ehren und in Erinnerung rufen, gegen Rassismus und Menschenverachtung, für die Toleranz und Freiheit des Grundgesetzes eintreten."

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