Gedenken :Opfer ohne Namen

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Die in Allach gefundenen Toten sind in einer multireligiösen Zeremonie beigesetzt worden

Von Jacqueline Lang, Dachau

Ein Mensch ist ein Mensch. Doch ein Mensch, von dem man weder Name, Alter noch Herkunft kennt, ist ein Mensch ohne Identität. Den KZ-Opfern, die auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers in Allach gefunden wurden, wurde damit noch weit mehr genommen, als ihr Leben: Man hat sie ihrer Identität beraubt.

Am Freitagmorgen wurden die zwölf Skelette, die man im Herbst dieses Jahres auf einem Areal in der Siedlung Ludwigsfeld ausgegraben hatte, nun in einer multireligiösen Zeremonie auf dem Dachauer Waldfriedhof beigesetzt. "Wir wissen kaum etwas über das Leiden der Menschen", sagt Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, in ihrer Eröffnungsrede in der Aussegnungshalle. Man gedenke an diesem Tag deshalb nicht nur der zwölf namenlosen Opfer, sondern stellvertretend auch allen anderen, die von den Nationalsozialisten ermordet worden sind. Als Zeichen gegen das Vergessen habe man die Skelette, die einfach verscharrt worden waren, jeweils in ein individuelles Grab gelegt. Hammermann spricht in ihrer Rede jedoch nicht nur über die Opfer. Sie kritisiert auch das Vorhaben der Eigentümer des Grundstücks, der Projektgesellschaft "Granatstraße 12", trotz der schrecklichen Funde an ihrem Bauvorhaben festhalten zu wollen und somit eine weitere Gedenkstätte zu zerstören. "Wir kennen eure Geschichte nicht", sagt Jean-Michel Thomas, Präsident des Comité International de Dachau, und richtet seine Worte damit direkt an die Toten. Man wisse nicht, ob es sich bei den Opfern um Juden, Kriegsgefangene, Homosexuelle oder eine andere verfolgte Gruppierung gehandelt habe. Eine persönliche Botschaft könne man daher nicht an sie richten, sagte Thomas, doch mehr als 70 Jahre nach ihrem Tod könne man ihrer zumindest voll Hochachtung gedenken.

Hoffnungsvoller Blick in die Zukunft

Als einziger Vertreter von Seiten der Politik, neben dem Dachauer Zeitgeschichtsreferenten Günter Heinritz (SPD), ist an diesem Morgen der Münchner Stadtrat Marian Offman (CSU) in Vertretung von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) anwesend. Er betont noch einmal die Verantwortung, die der Stadt München bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte zukomme. Von den von 1942 an errichteten 140 Außenlagern des KZ Dachau, in denen weit mehr als 300 000 Menschen unter menschenunwürdigen Verhältnissen unter anderem für BMW arbeiten mussten, hätten sich 40 allein auf Münchner Boden befunden, sagt Offman. Gleichzeitig betont er, dass die Stadt heute mit neuem Antlitz erstrahle und er einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft richte. Dies habe man auch den vielen Menschen mit großen gesellschaftlichem Engagement, wie der Anwesenden Barbara Distel, ehemalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, zu verdanken.

Eine Zeremonie mit großem symbolischen Wert: Bei der Bestattung der zwölf Opfer des Nazi-Regimes, die in Allach gefunden wurden, sind Vertreter fast aller Weltreligionen anwesend. (Foto: Toni Heigl)

Im Anschluss an die Reden begaben sich die etwa 70 Anwesenden der feierlichen Bestattung von der Aussegnungshalle zur letzten Ruhestätte der KZ-Opfer auf dem Waldfriedhof. Da über die Opfer keine Informationen vorliegen, hatte man sich darauf geeinigt, die Beisetzung mit Vertretern aller großen Weltreligionen - mit Ausnahme von Buddhismus und Hinduismus - zu zelebrieren. Auch ein Rabbiner konnte kurzfristig noch für die Veranstaltung gewonnen werden, obwohl die jüdische Gemeinde nicht davon ausgeht, dass es sich bei den Opfern um Juden handelt. Als die Skelette gefunden worden waren, war ein Rabbiner aus Israel angereist, um dies zu prüfen. Sein Befund ergab, dass es sich nicht um Juden handeln könne, da sie nicht nach jüdischer Vorschrift bestattet worden wären. Ohne eine DNA-Analyse lässt sich dies jedoch nicht zweifelsfrei klären, da in der damaligen Zeit auch eine Bestattung ohne Berücksichtigung des Glaubens denkbar gewesen ist.

"Song to the Madzub"

Der katholische Pastoralreferent Ludwig Schmidinger, der Rabbiner Steven E. Langnas, der griechisch-orthodoxe Erzpriester Apostolos Malamoussis, dann der russisch-orthodoxe Erzpriester Nikolai Zabelitch tragen ihre Gebete auf Deutsch, Hebräisch, Griechisch und Russisch vor. Als die Särge von den fünf Bestattern behutsam in die Erde gelassen werden, spielt der Dachauer Saxofonist Florian Ewald zwölf Musikstücke, die aus allen Teilen der Welt stammen. Zuletzt spielt er das Lied "Song to the Madzub" von Noor-un-Nisa Inayat Khan, die am 13. September 1944 im Dachauer KZ ermordet wurde.

Der Präsident des Comité International de Dachau, Jean Michel Thomas, spricht vom großen symbolischen Wert der feierlichen Bestattung. (Foto: Toni Heigl)

Nachdem die Kränze, die von den Vertretern der KZ-Gedenkstätte, des Comité International de Dachau, der Landeshauptstadt München und der Stadt Dachau mitgebracht wurden, vor den Gräbern niedergelegt worden sind, stimmt der Imam Siddik Tekingür vom türkisch-islamischen Verein Dachau sein Gebet an. Zum Abschluss der feierlichen Beisetzung spricht auch Kirchenrat Björn Mensing, evangelischer Seelsorger der KZ-Gedenkstätte Dachau und Koordinator der Veranstaltung, noch ein Gebet.

In einer letzten Ehrerweisung geben die Anwesenden Erde und Weihwasser auf die Gräber. Die zwölf namenlosen Toten haben nun in Dachau nach so vielen Jahren endlich ihre letzte Ruhestätte gefunden - und damit zumindest etwas Würde zurück erhalten.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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