Gedenken:Der größte Sohn der Stadt

Eine Erinnerungstafel am ehemaligen Wohnhaus von Max Mannheimer im mährischen Neutitschein

Von Helmut Zeller, Dachau/Neutitschein

Gerade jetzt würde seine Stimme so nötig gebraucht: Der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer, der in Tausenden von Zeitzeugengesprächen Jugendliche über den Judenhass im Nationalsozialismus aufklärte, hat jahrzehntelang gegen Antisemitismus und Rassismus gekämpft. Auf die Stimme des ehemaligen Vorsitzenden der Lagergemeinschaft Dachau und Vizepräsidenten des Internationalen Dachau-Komitees hörte die Politik. Zuletzt war es ihm noch gelungen, den damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) für die Errichtung der kürzlich eröffneten Gedenkstätte im früheren KZ-Außenlager Mühldorf zu gewinnen. Die etwa 100 000 Juden in Deutschland sehen sich einem wachsenden Judenhass ausgesetzt - seit Jahren schon, nur ist er jetzt in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt.

Ehrentafel für Max Mannheimer

Das Haus in Neutitschein, in dem die Familie Mannheimer einmal lebte.

(Foto: oh)

"Deine Botschaft werden wir weitertragen", steht auf den Plakaten geschrieben, die in Dachau verteilt wurden, nachdem er am 23. September 2016 im Alter von 96 Jahren gestorben war. Straßen, Plätze und Einrichtungen in der ganzen Münchner Region wurden nach seinem Namen benannt; in Dachau das Jugendgästehaus, der Platz zwischen Wirtschaftsschule Scheibner und der Stadtbibliothek trägt seit September 2017 seinen Namen.

Nun erinnert auch Mannheimers tschechische Geburtsstadt an ihn: "In diesem Haus lebte Max Mannheimer, Schriftsteller, Maler, Humanist, Ehrenbürger der Stadt" - so lautet die Inschrift einer Erinnerungstafel, die in Neutitschein angebracht worden ist. Nový Jičín ist eine Stadt in der mährisch-schlesischen Region in Tschechien und hat ungefähr 24 000 Einwohner - "eine wunderschöne kleine Stadt, 140 Kilometer nordöstlich von Brünn und 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt am Fuß der Beskiden gelegen, ziemlich genau da, wo das Gebirge in eine grüne Ebene übergeht", schrieb er in seinem Buch "Max Mannheimer. Drei Leben". In dieser damals 14 000 Einwohner zählenden Kleinstadt wuchs Max Mannheimer auf. Drei Viertel der Bevölkerung waren Deutsche, ein Viertel Tschechen und 209 Juden. Der kleine Max, am 6. Februar 1920 geboren, spielte leidenschaftlich Fußball, sah fasziniert jedem der noch seltenen Automobile hinterher, und traf - in dieser Reihenfolge - mit 14 seine erste Liebe, die "wunderschöne, sehr zierliche Wilma mit einem schwarzen Pony".

Ehrentafel für Max Mannheimer

Die Tafel an dem Haus erinnert an Max Mannheimer.

(Foto: oh)

Antisemitische Anfeindungen erfuhr der junge Max Mannheimer schon als Kind. Aber was mit verbalen Attacken christlicher Schüler auf jüdische begann, endete in den Dreißiger Jahren mit der Katastrophe des Massenmordes an den europäischen Juden. Am 10. Oktober 1938 marschierten deutsche Truppen in Neutitschein ein. Die Stadt war in ein Meer von Hakenkreuzfahnen getaucht, mit dem die deutsche Bevölkerung Hitlers Armee begrüßte.

Am 27. Januar 1943 wurden Mannheimer und seine Frau, seine Eltern sowie seine Geschwister Käthe, Ernst und Edgar nach Theresienstadt deportiert und kurz darauf ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Seine Eltern, seine Frau Eva, seine Schwester Käthe und sein Bruder Ernst wurden ermordet. Max und Edgar Mannheimer überlebten Birkenau, Warschau, Dachau und seine Außenlager Allach und Mühldorf.

Max Mannheimer ist Ehrenbürger der Städte Dachau und Neutitschein. Er hat viel für Dachau getan, aber seine mährische Geburtsstadt kann auf ihn als ihren größten Sohn verweisen: Ein Humanist und Menschenfreund, der einmal schrieb: "Ich weiß, dass es eine Utopie ist, die Menschen verbessern zu wollen. Dennoch glaube ich an das Gute im Menschen. Trotz allem." Gerade jetzt fehlt er, denn niemand hat so wie er den Menschen klar gemacht, dass Antisemitismus das Problem der ganzen Gesellschaft ist - wenn sie demokratisch bleiben will.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: