Für den Tassilo-Preis nominiert:Ein Mann, drei Lieben

Für den Tassilo-Preis nominiert: Victor Bolarinwa ist mit der Sinfonietta aus dem Dachauer Kulturgeschehen nicht mehr wegzudenken.

Victor Bolarinwa ist mit der Sinfonietta aus dem Dachauer Kulturgeschehen nicht mehr wegzudenken.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Leidenschaft von Victor Bolarinwa gehört seiner Frau, seinen Söhnen - und der Musik. Als Kind dirigierte er ein Radiokonzert, seit 2003 die von ihm gegründete Sinfonietta Dachau

Von Dorothea Friedrich

Victor Bolarinwa ist ein verbindlicher, höflicher Mensch. Aber es gibt einen Punkt, da ist er knallhart: "Mir ist es sehr wichtig, nicht auf meine Herkunft reduziert zu werden, sondern, dass im Vordergrund steht, was mein Beruf und meine Passion ist - Dirigieren". Warum betont er das? Weil es auch heute noch nicht selbstverständlich ist, dass ein Nigerianer ein deutsches Orchester leitet, die Sinfonietta Dachau. Doch selbstredend spielt im Gespräch über seine drei großen Lieben - seine Frau, seine beiden erwachsenen Söhne und die Musik - sein Lebensweg eine wichtige Rolle. Ist doch die 2003 von ihm gegründete und bis heute von ihm geleitete Sinfonietta Dachau ohne diese Komponenten eines nicht einfachen, aber zielgerichteten Lebens nicht vorstellbar.

Aufgewachsen ist Bolarinwa in einem musikalischen Elternhaus in Nigeria. "Von morgens bis abends war ich von klassischer Musik umgeben. Mozart, Haydn, Beethoven", erinnert er sich. Lachend erzählt er, wie sein Vater, ein angelikanischer Geistlicher und Organist, einmal beobachtete, wie der kleine Victor ein Radiokonzert dirigierte: "Da war ihm klar, dass ich nicht Geistlicher werden würde, wie er." Dirigent war das Berufsziel. Und darauf hat er hingearbeitet - mit tatkräftiger Unterstützung der Eltern: Studium am Londoner Trinity College of Music und in den USA, den Taktstock immer fest im Blick und im Griff. In Boston gründet Bolarinwa sein erstes Orchester. Dort wäre der junge Dirigent mit Diplom und Ehrgeiz womöglich geblieben, hätte er sich nicht bereits in London in Gisela verliebt. Und sie sich in ihn. Bolarinwa zieht nach München, später mit Ehefrau Gisela nach Hebertshausen und tut alles, um den Traum vom Dirigieren Realität werden zu lassen. Er kämpft gegen das Vorurteil vom "Afrikaner, der doch unmöglich klassische Musik dirigieren kann" und ähnliche diskriminierende Äußerungen. Studien und Meisterkurse bei den ganz Großen, wie beispielsweise Rudolf Kempe oder Sergiu Celibadache, alle möglichen Jobs, um die teuren Kurse zu finanzieren, Auszeichnungen noch und noch folgen. Doch "ohne meine Frau wäre das nicht möglich gewesen, wir haben jeden Pfennig zusammengekratzt. Aber ich habe gelernt, was man tun darf und was nicht", sagt Bolarinwa - und meint damit nicht nur das Dirigieren.

Aufgeben kam für den Musikbesessenen nie in Frage, auch wenn sich manche Hoffnung zerschlug, manches Versprechen sich als leere Worthülse erwies. Gastdirigate in Japan, am Münchner Gärtnerplatztheater oder Rundfunkaufnahmen mit den Münchner Philharmonikern, aber auch das von ihm gegründete und geleitete Neuperlacher Kammerorchester waren wie Brunnen in der Wüste, aus denen ein durstiger Wanderer trinkt und neue Kraft schöpft. Bis Wolfgang Sawallisch, eine Dirigenteninstitution von Weltrang, die zündende Idee hatte: "Dachau hat kein eigenes Orchester", habe er zu ihm gesagt, erzählt Bolarinwa und schmunzelt, weil er seinerzeit so unbefangen an die Sache heranging. Er stellte sich vor, er werde demnächst ein von Mäzenen großzügig unterstütztes städtisches Orchester ins Leben rufen. "Schließlich haben die Münchner auch mal so angefangen", sagt er selbstbewusst.

Ein kommunaler Klangkörper ist nach wie vor in weiter Ferne, aber die Sinfonietta lebt - und ist aus dem Dachauer Kulturgeschehen nicht mehr wegzudenken. Klein und bescheiden begann es 2003 mit einem Konzert im Dachauer Schloss, dem Herkulessaal der Klassikszene in der Großen Kreisstadt, wenn man es so sehen will. Herkulisch waren und sind die Mühen immer noch, wenn es darum geht, jährlich zwei anspruchsvolle Konzerte auf die Beine zu stellen. Von den jeweils dreißig bis vierzig Musikern ist gut die Hälfte bereits von Anfang an dabei, sogenannte ambitionierte Laien, Musikstudenten und -lehrer, aber auch Profis. Die Programmauswahl gestalten sie mit - und scheitern mit ihren Vorschlägen häufig an den finanziellen Möglichkeiten. "Das können wir uns nicht leisten", sagt Bolarinwa mehr als einmal und verzichtet (vorläufig) darauf, seinen heiß geliebten Dvorak, Richard Strauß oder Beethovens große Sinfonien zu spielen.

Die kämen bei den Zuhörern gut an, denn auch auf deren Vorlieben nimmt Bolarinwa Rücksicht. "Das Schloss ist ja leider immer noch nicht voll besetzt, wenn wir spielen", bedauert er. Doch große Sprünge sind auch mit Unterstützung der Stadt nicht möglich. "Ein Klavierkonzert wäre mal wieder schön, oder das Konzert für vier Hörner und Orchester von Robert Schumann oder was ganz Modernes". Angesichts des finanziellen Risikos, das jedes Konzert für den Verein als Trägerorganisation des Orchesters bedeutet, "geht das wohl die nächsten Jahre nicht. Doch es hat Zeit und braucht seine Zeit", sagt der Sinfonietta-Dirigent. Vielleicht, weil er seine eigene Zielstrebigkeit selbst am besten kennt. Die braucht er auch für sein neuestes Projekt: eine Kindersinfonietta für Kids im Schulalter. Wetten, dass die Kindersinfonietta eines Tages im Schloss auftritt?

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