Folge 3:Blühendes Relikt der Eiszeit

Der Mesnerbichl bei Andechs ist Heimat besonders vieler bedrohter Pflanzen - und genau deshalb selbst gefährdet. Naturschützer monieren, das ausgerechnet Blumen­freunde mitunter für Flurschäden sorgen

Von Astrid Becker

Den Mesnerbichl kennt Paul Trauner seit seiner frühesten Jugend. Weil dieser Flecken mit seiner seltenen Pflanzenpracht ganz eng mit seinem Leben, mit seiner Familie verbunden ist. Das fängt schon im Jahr 1932 an, dem Geburtsjahr des Mannes, der in seinem Heimatort Erling viele Jahre in der Kirchenverwaltung war und auch noch heute so etwas wie ein Heimatforscher ist.

Damals, 1932, hatte der 1913 gegründete Bund Naturschutz (BN), oder besser gesagt die Bezirksgruppe Starnberg, am 20. November zu einer "großen Werbeveranstaltung in den damaligen Gasthof Probst (Klostergasthof) geladen. Mit Vorträgen und einer Lichtbildervorführung wollte der BN die Bevölkerung für "Naturschutz und Heimat" sensibilisieren. Die entsprechende Anzeige im Kirchenboten befindet sich im Besitz von Trauner, der alte Ortsansichten und Zeitungsausschnitte sammelt. Diese Anzeige, so sagt er, sei der Anfang der Geschichte, die er über den Mesnerbichl zu erzählen habe. Denn zwei Jahre später, 1934, wurde die kleine Anhöhe im Süden von Andechs bereits zum Naturschutzgebiet erklärt. Das ist sie noch heute, ein Teil wurde 1982 sogar zum Naturdenkmal erklärt. "Dass es dort so viele seltene Pflanzen gibt, das wussten wir schon immer", erzählt Trauner. Wir, damit meint er seinen Vater ebenso wie seinen Großvater. Beide dienten der St. Vitus-Kirche im Ort als Mesner. "Im Ort", damit ist Erling gemeint, denn Andechs ist zwar seit 1978 der Name der Gemeinde, benannt nach dem Kloster. Die Menschen jedoch, die in den Ortsteilen Erling, Machtlfing und Frieding zu Hause sind, würden sich selbst nie als "Andechser" bezeichnen.

Auch Trauner nicht. Er sagt, so wie es sich dort gehört: "Ich bin Erlinger, sogar ein gebürtiger." Er lebt noch immer im Haus seiner Familie, direkt gegenüber der St.Vitus-Kirche, in der sich die Trauners über Generationen hinweg um das mehrmalige Läuten der Kirchenglocken am Tag, das Sauberhalten der Kirche oder auch um den Blumenschmuck bei Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen kümmerten. Als Entlohnung dafür gab es nicht nur ein klein wenig Geld: "Bei meinem Vater waren das 30 Mark." Sondern eben auch die Mahd. Denn der Mesnerbichl war Eigentum der St. Vitus-Kirche, die zwischen 1300 und 1400 zur Pfarrei Ebersberg gehörte. Lange Zeit war der Hügel danach benannt, hieß "Ebersberg", bis er vom Volksmund in "Mesnerbichl" umgetauft wurde.

Das Recht, dort zu mähen, bezog sich allerdings nur auf die nicht geschützten Teilen - also auf die Fläche jenseits von Nord- und Westhang. Dort sind die schützenswerten Pflanzen zu finden: Das Narzissenblütige Windröschen (Anemone narcissiflora) zum Beispiel, der Lungenenzian (Gentiana pneumonanthe), Knabenkraut, Orchideen und auch Sumpfgladiolen (Gladiolus palustris). Pflanzen also, die stark bedroht sind.

Warum sie dort vorkommen, erklärt sich aus der eiszeitlichen Vergangenheit der Landschaft rund um Andechs. Einst hatte der Isar-Loisach-Gletscher weite Teile des Alpenvorlandes bedeckt. Als er abschmolz, ließ er den im Eis enthaltenen Gesteinsschutt zurück. Aus diesem bildeten sich Drumlins und Tumuli, wie die Wissenschaft diese Hügel nennt, die wie die Endmoränen so maßgeblich die Topografie dieser Gegend prägen. Die Pflanzen, wie der Enzian, sind also Relikte der Eiszeit - und verdienen daher besonderen Schutz.

Doch dieser Schutz, birgt auch Gefahren in sich. Ursula Madeker von der Unteren Naturschutzbehörde reagiert daher wenig begeistert auf Medienberichte über den Mesnerbichl. Schon jetzt, so sagt sie, seien die Flurschäden, die Menschen anrichteten, weil sie die Blumen aus der Nähe betrachteten oder inmitten von ihnen Picknicke veranstalteten, "enorm". Auch Paul Trauner sieht die Sache mit der Schutzwürdigkeit skeptisch: "So bald irgendwo ein Schild steht mit so einem Hinweis, dann weiß jeder, dass da was Besonderes ist, was man anschauen muss."

Weg zum Bichl

Paul Trauner und Ursula Madeker von der Unteren Naturschutzbehörde appellieren an die Spaziergänger, die Wege nicht zu verlassen und den Mesnerbichl möglichst nicht zu betreten, um die wertvolle Flur zu schützen und für die Nachwelt zu erhalten. Es gibt aber schöne und bequeme Wege dorthin. Von der Ortsmitte aus, in Höhe des Hotel "Zur Post", biegt man nicht in Richtung Kloster, sondern genau in die entgegengesetzte Richtung zum Hofladen der Molkerei Scheitz ab. Die Zufahrt dorthin rechts liegenlassen und dann dem schmalen Teerweg leicht links folgen. Beim zweiten Feldweg, kurz vor einer großen Scheune, rechts abbiegen. Dem Weg folgen, den Bach überqueren, dem Weg weiterfolgen, ein kleines Bacherl überqueren, dann geht es rechts ab zum Mesnerbichl. Einige etwas angestaubte Tafeln weisen darauf hin, wo sich Naturschutzgebiet und Naturdenkmal befinden: Letzteres ist zwar im flachen Teil des Bichls situiert, heißt aber dennoch "Mesnerbichl". Astrid Becker

Trotzdem ist er froh, dass "sein Mesnerbichl" und dessen Schönheit erhalten wird. Bis 1967 hatte sich seine Familie darum gekümmert, dann gaben die Trauners die Landwirtschaft auf und brauchten das Heu und das Streu vom Mesnerbichl nicht mehr. Andere Bauern im Ort bekamen dafür den Zuschlag. Trauner jedoch blieb seiner alten Liebe treu: Immer wieder ging er dorthin, kontrollierte den Bestand und dokumentierte ihn mit dem Fotoapparat. Vor fünf Jahren etwa, so erzählt er, habe er dort wieder einen Frauenschuh entdeckt. Das letzte Exemplar am Mesnerbichl hatte er als Jugendlicher gesichtet. "Bis ihn ein Schulkamerad rausgerissen hat, um ihn einem Fräulein zu bringen." Mittlerweile ist Paul Trauner nicht mehr ganz so gut zu Fuß. Nur noch selten kommt er zu seinem Bichl. Aber dafür hat er ja die vielen Bilder von seinem Lebenshügel.

Am Mittwoch geht es um eine Allee in Lenggries.

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