Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft in Erdweg:Lernen, wie man Wurzeln schlägt

Auszubildender Landwirt

Biobauer Anton Reindl ist mit seinem Auszubildenden Olawale Folawole sehr zufrieden. "Wale", wie er gerufen wird, feierte schon seinen Geburtstag mit den Reindls.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Nach der Notunterbringung in Hallen kommen Asylsuchende in kleinere Unterkünfte. Die Bewohner versuchen, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen, doch die Ungewissheit bleibt und nagt an ihnen.

Reportage von Sebastian Jannasch, Erdweg

Mit der Mistgabel in der Hand steht Olawale Folawole im Stall von Bio-Bauer Anton Reindl in Eisenhofen und schaufelt Stroh. Ein paar Kühe strecken ihm den Kopf entgegen, er tätschelt sie liebevoll, sie danken es mit ausgiebigem Schlecken. Dabei ist der 31-jährige Nigerianer eigentlich Lehrer, im Norden des Landes hat er Buchhaltung unterrichtet. 2014 flüchtete der Christ aus dem Gebiet, in dem die islamistische Terrororganisation Boko Haram ihrUnwesen treibt. Seit mehr als einem Jahr lebt er im Landkreis, zunächst in der Notunterkunft in Indersdorf, nun im Containerdorf in Erdweg. "Ich habe mich schon in Nigeria für Landwirtschaft interessiert", erzählt er. Aus gelegentlicher Mitarbeit auf dem Hof entstand der Plan, eine Ausbildung zum Landwirt zu absolvieren. Seit einigen Monaten geht er nun bei Bauer Reindl in die Lehre. Damit hat Olawale Folawole etwas erreicht, von dem viele seiner Mitbewohner im Asyl-Containerdorf in Erdweg noch träumen.

Die großenNotunterkünfte in Karlsfeld, Bergkirchen und Markt Indersdorf, die Turn- und Traglufthallen, in denen ankommende Flüchtlinge oft einquartiert werden, sind nur provisorische Unterbringungen. Sobald kleinere Unterkünfte verfügbar sind, ziehen die Asylsuchenden dorthin. Hier verbringen sie meist Monate, warten auf eine Entscheidung ihres Asylantrags, lernen Deutsch und können erste berufliche Erfahrungen sammeln.

"Ohne Ausbildung kommt man in Deutschland nicht auf die Füße"

Olawale Folawole war es leid, herumzusitzen. Er wollte einen Beruf lernen, der in Deutschland anerkannt ist. Diese Idee umzusetzen, war für ihn ein bürokratischer Marathon. Folawole musste Praktika und Probeunterricht meistern und die Zustimmung von Berufsschule, Landratsamt und Arbeitsagentur gewinnen. Allein hätte Folawole das wohl nicht geschafft. Landwirt Reindl scheute keine Mühe, seinen Gehilfen zu unterstützen. Und hatte Erfolg. "Ohne Ausbildung kommt man in Deutschland nicht auf die Füße", sagt Reindl. Nun lernt der Nigerianer an der Pfaffenhofener Berufsschule die Theorie von Pflanzen-, Tier- und Bodenkunde. Freitags folgt die Praxis im Ausbildungsbetrieb.

Folawole muss weiterhin im Containerdorf leben, sein Asylverfahren läuft noch. Die Anlage liegt am Ortsausgang von Erdweg. In langen Reihen erstrecken sich die beiden Behausungen, in denen insgesamt 50 Flüchtlinge leben. In den Containern herrscht Hostel-Ambiente. Die Einrichtung ist spartanisch, die Bewohner wechseln. 25 Männer teilen sich Zweibett-Zimmer, eine Küche, einen Aufenthaltsraum und einen Duschtrakt. "Für viele ist das Luxus pur", sagt Monika Sedlatschek vom Helferkreis. In den Hallenunterkünften gibt es keine Privatsphäre, keine Tür, die man hinter sich schließen kann. Das führt zu gereizter Stimmung, die sich immer wieder in Handgreiflichkeiten entlädt. Die kleineren Unterkünfte erleichtern das Zusammenleben. "Wir haben keine Probleme mit Schlägereien", sagt Monika Sedlatschek.

Containerunterkunft

Saki, Lagar und Farhan (v.l.) sind aus ihrer Heimat geflohen und wohnen in der Containerunterkunft.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Bewohner teilen nichts außer dem Schicksal, geflohen zu sein

Doch einfach wird das Leben auch in den Containern nicht. Hier kommen fremde Leute zusammen, die nichts teilen außer dem Schicksal, geflohen zu sein. Einige Bewohner sind schon weiter in Richtung Schweden gezogen, andere wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. Im kargen Gemeinschaftsraum sitzen ein paar junge Männer um einen abgewetzten Holztisch. Sie sind gerade aus der Dachauer Berufsschule gekommen. In einer Ecke steht ein fleckiges Sofa, in der anderen thront ein Fernseher. "Manchmal schauen wir zusammen einen Film und lernen dabei Deutsch", erzählt Mody. Der 20-jährige Senegalese ist Fan des FC Bayern München. An die Wand seines 14 Quadratmeter großen Zimmers, das er mit einem anderen Flüchtling teilt, hat er ein Poster von Bastian Schweinsteiger geklebt. Das macht das Containerabteil etwas weniger steril. Schon seit Monaten wohnt er in der Anlage, sein Asylverfahren zieht sich hin. Die Chancen stehen schlecht für ihn. Senegal ist ein so genannter sicherer Herkunftsstaat. Die Behörden gehen davon aus, dass keine Verfolgungsgefahr besteht. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass Modys Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen wird, wie es im Behördendeutsch heißt. Mody ahnt das. "Manchmal bin ich sehr deprimiert und traurig."

Im März vergangenen Jahres hat der Freistaat die Regeln für Asylsuchende aus "sicheren Herkunftsländern" verschärft. Sie sind zum Nichtstun verdammt. Sie dürfen nicht arbeiten, keine Ausbildung machen, auch kein Praktikum. Im Container regiert die Langeweile. Schon das Fußballspiel am Montagnachmittag ist ein Lichtblick im monotonen Wochenverlauf. Frustrierend ist die Situation auch für die Helfer. "Für ein paar Senegalesen hatten wir bereits Arbeitsplätze im Wirtshaus in Erdweg organisiert, doch dann kam das Arbeitsverbot", sagt Monika Sedlatschek. Sie wünscht sich schnellere Verfahren. Statt Monate und Jahre in Ungewissheit zu leben, müsste innerhalb weniger Wochen über einen Asylantrag entschieden werden. Das ist derzeit nicht mehr als ein frommer Wunsch.

Die Arbeitssuche ist voller Hürden

Auch für Asylsuchende, die nicht aus einem "sicheren" Land stammen, ist die Arbeitssuche voller Hürden. "Häufig meldet sich jemand bei uns, der kurzfristig Unterstützung beim Holzhacken, im Garten oder bei Schreinerarbeiten braucht", erzählt Monika Sedlatschek. Bis eine Erlaubnis der Arbeitsagentur vorliegt, vergehen Wochen. Solange wartet niemand.

Containerunterkunft

Helferin Monika Sedlatschek schaut regelmäßig in der Unterkunft vorbei

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Senegalese Mody kann immerhin noch zur Berufsschule gehen. Dort verbessern Flüchtlinge in Integrationsklassen ihre Deutschkenntnisse. Die Politik und Kultur hierzulande wird ihnen im Fach "Lebenskunde" vermittelt. Doch selbst diese Beschäftigung haben die neu ankommenden Flüchtlinge "sicherer Herkunft" wohl nicht mehr im Landkreis; die Nachfrage ist zu groß. Die neuen Plätze, die von Februar an in der Dachauer Berufsschule zur Verfügung stehen, werden streng nach Priorität vergeben. 500 junge Flüchtlinge wurden angeschrieben, 160 nahmen am Einstufungstest teil. "Wir können nur etwa 50 von ihnen in den zwei neuen Klassen aufnehmen", sagt Schulleiter Johannes Sommerer. Vorrang haben Asylsuchende mit guter Bleibeperspektive und Minderjährige. Die Schule kommt nicht nach, Lehrer einzustellen, Räume zu finden und den Unterricht für die wachsende Anzahl der jungen Flüchtlinge zu organisieren. Hunderte der Asylsuchenden im Kreis, die unter 21 Jahre alt sind, wird die Schule vorerst nicht aufnehmen können.

Ein Flüchtling macht ein Praktikum als "Fachkraft für Lagerlogistik"

In einer etwas besseren Situation ist Farhan. Der 20-Jährige stammt aus Somalia. Auch er geht zur Berufsschule. Nebenbei macht er ein Praktikum als "Fachkraft für Lagerlogistik" bei einem Dachauer Kabelhersteller, wie es dem Somalier fast akzentfrei über die Lippen kommt. Nun hofft er, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. "Vorher muss ich aber die Berufsschule bestehen."

Containerunterkunft

Für dringende Fälle gibt es eine Notfallnummer. Das Fußballspiel am Montagnachmittag ist ein Lichtblick im monotonen Wochenverlauf.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Im zweiten Container nebenan räumen junge Männer an diesem Tag gerade die Küche auf. Eine Zeitlang gab es Probleme mit der Ordnung in der Anlage. Ein Ofen ging kaputt, weil er unpfleglich behandelt wurde, keiner fühlte sich zuständig, die Gemeinschaftsräume zu putzen. Das Phänomen kennt jeder WG-Bewohner. Doch seitdem einzelne Bewohner fest eingeteilt sind, die Küche zu schrubben, den Flur zu wischen und die Duschen in Ordnung zu halten, klappt es ganz gut. "Fördern und fordern" ist Monika Sedlatscheks Devise. Sie findet, wer etwas kaputt macht, soll es auch ersetzen, sonst würde die Ausstattung nicht wertgeschätzt.

Fünf Monate dauerte die Wohnungssuche, obwohl 70 Wohnungen leer stehen

Im Containerdorf wohnen auch einige Syrer. Die Chancen der Bürgerkriegsflüchtlinge auf eine Aufenthaltserlaubnis stehen weit besser als die ihrer Mitbewohner ein paar Türen weiter. Ihr Wunsch ist es, aus der Behelfsunterkunft herauszukommen. Das ist sehr schwierig. "Wir haben fünf Monate gebraucht, um eine Wohnung für eine syrische Familie in Erdweg zu finden, obwohl 70 Wohnungen leer stehen", sagt Monika Sedlatschek, die auch dritte Bürgermeisterin der Gemeinde ist. "Einige Vermieter lassen sich nicht überzeugen, ihre Wohnung an Flüchtlinge zu geben." Das mag auch an den Vorfällen in Köln liegen, die nach Monika Sedlatscheks Meinung Misstrauen gegenüber den Flüchtlingen gesät haben. Auch die jungen Männer, die im Aufenthaltsraum des Wohncontainers sitzen, haben von den Übergriffen gehört. Sie fürchten, dass nun ein negatives Bild der Flüchtlinge entsteht. Der 22-jährige Somalier Saki verurteilt die Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht. "Das ist schrecklich. Es ist auch nicht mit dem Islam vereinbar, fremde Frauen anzufassen", sagt er.

Bereits im vergangenen Herbst hatte der Helferkreis einen Vortrag für die Bewohner organisiert, in dem vermittelt wurde, was als sexuelle Belästigung gilt und deshalb strafbar ist. Saki findet das selbstverständlich. Er sei Deutschland sehr dankbar. "Wir können hier frei und sicher leben", sagt der Somalier. Er möchte im Freistaat bleiben: "Ich fühle mich als Bayer."

Der Landwirt wird von Bekannten angefeindet

Landwirtschaftslehrling Olawale Folawole hofft ebenfalls, in Deutschland bleiben zu können. Seine Frau und seinen Sohn würde er gern nachholen. Landwirt Reindl möchte auf ihn nicht mehr verzichten. "Er hat sich noch nie beschwert, dass es stinkt und dreckig ist, und war immer sofort da, wenn ich ihn gebraucht habe." Inzwischen gehört "Wale", wie Reindl ihn nennt, schon ein wenig zur Familie. Auch "Wales" Geburtstag haben sie zusammen gefeiert. Verunsichern lässt sich Reindl deshalb auch von Anfeindungen aus seinem Umfeld nicht. Bewohner aus der Gemeinde und Bekannte werfen ihm vor, einen Flüchtling zu beschäftigen. "Von einigen bin ich menschlich sehr enttäuscht."

Olawale Folawole will in den kommenden Wochen seinen Führerschein machen. Schon in einigen Tagen steht die Theorieprüfung an. Dann kann der angehende Landwirt auch endlich mit dem Traktor durchs Dorf fahren.

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