Filmprojekt:Der Unerschrockene

Filmpräsentation

Ernst Grube bei der Vorführung des Films über sein Leben im Kinosaal der KZ-Gedenkstätte. Ingeborg Weber (links) hat hn gemeinsam mit Christel Priemer gedreht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ingeborg Weber und Christel Priemer haben ein filmisches Porträt über den 84-jährigen Ernst Grube gedreht, der als Kind nach Theresienstadt deportiert wurde, das Konzentrationslager überlebte und sich sein ganzes Leben mit Zivilcourage für Frieden und Freiheit einsetzt

Von Walter Gierlich, Dachau

"Zwischendurch hat's mich richtig gefroren angesichts dieses Lebenslaufs." Diesem Satz einer Zuschauerin würden sicher viele Besucher zustimmen, die am Mittwochabend im Kinosaal der KZ-Gedenkstätte den Film "Ernst Grube - Zeitzeuge" gesehen haben. Denn in dem 60 Minuten langen Streifen mit dem Untertitel "Von einem, der nicht aufgibt" haben Ingeborg Weber und Christel Priemer einen unerschrockenen Mann porträtiert, der in den mittlerweile 84 Jahren seines Lebens viel Schreckliches mitgemacht hat. Ernst Grube hat daraus die Lehre gezogen, dafür zu kämpfen, dass sich so etwas nicht wiederholt und dass andere Menschen das nicht erleben müssen.

Er streitet bis heute unermüdlich "für Toleranz, Solidarität, Abwehr von Fremdenhass und Krieg", wie er im Film sagt. Folgerichtig beginnt die Dokumentation mit Grubes Rede bei einer Demonstration im Herbst 2016 gegen das sogenannte Integrationsgesetz der bayerischen Staatsregierung, das in seinen Augen eher der Ausgrenzung von Flüchtlingen dient. Dann ein Sprung in die Vergangenheit. Grube, am 13. Dezember 1932, also wenige Wochen vor Hitlers Machtantritt, geboren, erzählt über seine Kindheit als Sohn eines kommunistischen Malermeisters und einer jüdischen Mutter. Wie er von anderen Kindern deswegen verspottet und gedemütigt wurde. Wie die Familie 1938 ihre Wohnung verlor und er zusammen mit dem älteren Bruder und der vier Monate alten Schwester ins jüdische Kinderheim kam. Wie es für ihn unbegreiflich war, als 1941 plötzlich die Hälfte der Kinder verschwunden war, deportiert ins litauische Kaunas, wo sie ermordet wurden.

Ein Jahr später wurde das Heim aufgelöst, Ernst Grube und seine Geschwister ins Judenlager Milbertshofen überstellt, "einen Ort des Terrors, einen Ort der Verfolgung". "In meiner Erinnerung gehört dieses Ghetto zu den brutalsten Einrichtungen der Nazis in München", sagt er im Film, "nicht Tausende Kilometer entfernt, sondern nur ein paar hundert Meter." 1943 dürfen die Kinder zurück zu den Eltern. Doch 1945 folgt dann wenige Wochen vor Kriegsende die Deportation von Mutter und Kindern ins KZ Theresienstadt, schließlich die Befreiung durch die Rote Armee. Bis an sein Lebensende werde er dieser Rettung verbunden bleiben. Als Grube nach München zurückkommt, kann er endlich die Schule besuchen und dann beim Vater eine Ausbildung als Maler machen. Er engagiert sich in der Gewerkschaftsjugend, tritt in die KPD ("Schon seit frühester Jugend hatte ich eine emotionale Nähe zu der Partei"), geht gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf die Straße. Zweimal landet er im Gefängnis. Das erste Mal für sieben Monate wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, als er sich bei einer Demonstration gegen einen prügelnden Polizisten wehrt. Das zweite Mal nach dem KPD-Verbot für zwölf Monate wegen Staatsgefährdung.

Danach setzt sich Grube in der Friedensbewegung ein, bei den Ostermärschen, gegen die Notstandsgesetze. Er wird Malermeister, eröffnet seinen eigenen Betrieb, holt das Abitur nach und wird Berufsschullehrer. Beinahe wäre er 1974 Opfer des sogenannten Radikalenerlasses geworden, doch in der entscheidenden Anhörung legt er seinen Judenstern auf den Tisch und darf weiter unterrichten.

Seit den Achtzigerjahren engagiert er sich in Dachau, im Förderverein für internationale Jugendbegegnung sowie in der Lagergemeinschaft, die er seit dem Tod Max Mannheimers im vergangenen Jahr kommissarisch leitet. Wegen seines Einsatzes bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) landet Grube sogar im bayerischen Verfassungsschutzbericht, aus dem er 2011 erst auf heftigen öffentlichen Protest wieder gestrichen wird. Die VVN jedoch steht zu seinem Bedauern in Bayern immer noch unter Beobachtung. Grube geht unermüdlich in Schulen, erzählt Kindern und Jugendlichen, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein.

Im Filmgespräch betonte Drehbuchschreiberin Ingeborg Weber, zwei Jahre jünger als ihr Protagonist, dass Grubes Lebenslauf "nicht verloren gehen darf". Und Ernst Grube selbst sieht den Streifen, von dem momentan eine kürzere Fassung entsteht, "als Hilfe für meine Bildungsarbeit". Denn es sei für ihn das Allerwichtigste, Schülern und Jugendlichen als Zeitzeuge zu berichten, nicht abgehoben und theoretisch, sondern authentisch aus eigenem Erleben. Schließlich sagt er im Film: "Ich bin mehr der Praktiker." Und im anschließenden Gespräch sagt er ganz offen offensiv: "Ich brauche die Nähe. Wenn ich in einer Schule bin und die Lehrer stellen mir einen Stuhl hin, hau' ich den weg, denn ich will zu den Kindern."

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