Fasching in Dachau:Nüchtern betrachtet

Bis zum Ende des Abends müssen die Helfer des Roten Kreuzes 39 Menschen versorgen, 15 müssen sie ins Krankenhaus bringen, viermal muss der Notarzt kommen: Es ist Fasching in Dachau.

Viktoria Großmann

Von der Augenbraue über das Auge auf die Wange läuft dem Mädchen das Blut über das Gesicht. Ihr Haar ist pechschwarz, der Rock kurz, die Strümpfe bunt. Es ist Fasching in Dachau und das Blut ist rote Farbe. Diese Schnittwundenoptik ist einer der Trends auf dem diesjährigen Fasching. So wie auch Sträflingskleidung und Bauarbeiteranzüge, inklusive gelbem Helm. Dazwischen leuchten rote Sanitätsjacken auf. Die sind echt und kaum dass der Faschingszug eine halbe Stunde läuft, fahren die Ehrenamtlichen vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) den ersten Jugendlichen mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus.

Fasching in Dachau: Fasching und Trinken, das scheint unauflöslich zusammenzugehören. Neun Jugendliche wurden am Samstag mit Alkoholvergiftungen ins Amperklinikum gebracht - zwei mussten auf die Intensivstation. Die ehrenamtlichen Sanitäter vom BRK waren bis halb zehn Uhr abends auf Einsätzen in Dachau unterwegs.

Fasching und Trinken, das scheint unauflöslich zusammenzugehören. Neun Jugendliche wurden am Samstag mit Alkoholvergiftungen ins Amperklinikum gebracht - zwei mussten auf die Intensivstation. Die ehrenamtlichen Sanitäter vom BRK waren bis halb zehn Uhr abends auf Einsätzen in Dachau unterwegs.

(Foto: DAH)

Bis zum Ende des Abends werden sie 39 Personen versorgt haben, 15 müssen sie ins Krankenhaus bringen, viermal muss der Notarzt kommen. Drei müssen nach München gebracht werden, "weil sie zu jung sind für das Dachauer Krankenhaus", sagt BRK-Kreisbereitschaftsleiter Alexander Westermaier. Mit anderen Worten: sie mussten in die Kinderklinik gebracht werden. Im Amperklinikum werden am Samstag neun Jugendliche, meist 16- und 17-Jährige, wegen einer Alkoholvergiftung behandelt. Zwei müssen gar auf die Intensivstation. 24 Personen kommen mit Platzwunden oder anderen Verletzungen, die sie sich zugezogen haben, weil sie schlicht ihrer Sinne nicht mehr Herr waren; 21 von ihnen sind Jugendliche. Es waren weniger als im vergangenen Jahr und das bei dem etwa gleichen Andrang. Westermaier spricht von einem friedlichen Umzug; richtig zu tun bekam das BRK erst auf der Feier danach.

Ungefähr 10 000 Faschingsverrückte drängen sich am Samstag in der Dachauer Altstadt - viele in ein Ganzkörperkostüm gehüllt. Erwachsene verwandeln sich damit in Teddybären, Krokodile, Kühe oder etwas Ähnliches wie blaue Mäuse. Kinder, die überredet werden konnten, nicht als Prinzessin zu gehen, sind in der grauen Elefanten-Plüsch-Variante winterfest eingepackt und sehen - im Gegensatz zu den Erwachsenen - darin steinerweichend niedlich aus. Von den Wagen winken Schlümpfe, Piraten und Steinzeitmenschen aus Ampermoching - das durch archäologische Funde im vergangenen Jahr rasant älter geworden ist. Die Gruppe erhält dafür von der Stadtratsjury den dritten Preis. Den ersten Platz belegt ein Piratenschiff aus Olching, den zweiten die Gündinger Burschen, die als Disney-Figuren auftreten.

Das Motto des Zuges ist: Hollywood - das Prinzenpaar sitzt auf Regiestühlen. Aus 37 Gruppen setzt sich der Zug zusammen, etwa 1500 Menschen gehen mit. Das Schlusslicht bildet ein Einsatzwagen des BRK. Im alten Rathaus hat das BRK vier Liegen aufgebaut, Medikamentenkoffer stehen bereit. Hier ist der Haupteinsatzpunkt des Roten Kreuzes. An der Strecke des Faschingszugs stehen außerdem fünf Einsatzwagen, die mit je zwei Sanitätern besetzt sind.

Kurz vor 15 Uhr bringen die Sanitäter einen jungen Mann ins Rathaus, legen ihn auf eine Bahre. Er ist nicht ansprechbar, hat sich erbrochen. Der Notarzt wird informiert. Ein Krankenwagen fährt rückwärts den steilen Karlsberg hinauf, auf seiner Liege wird der Mann, der sich nicht rührt und die Augen nicht öffnet, aus der Station im Rathaus in den Krankenwagen gebracht und in die Klinik gefahren. Vor Sankt Jakob zieht im Faschingszug der Wagen "Zoo Ottershausen" vorbei. Daran steht: Bitte nicht füttern, außer mit Bier. Auf fast allen Wagen wird getrunken, statt einem Zuckerl wird auch schon mal eine Dose Bier in die Menge hinabgereicht. "Das Problem ist die Mischung", sagt Westermaier und blickt vom Rathaus hinab in die Menge aus tanzenden Fliegenpilzen und Sträflingen. Das Durcheinander von Bier, Schnaps und Prosecco sei gefährlich, und immer wieder auch die Alkopops. Diese süßen alkoholhaltigen Getränke schmecken wie Brause und halten, so erklärt es Westermaier, den Blutzuckerspiegel lange oben, so dass die Wirkung nicht bemerkt wird. Doch irgendwann kommt sie doch und das ist dann "wie ein Tritt". Ein paar Jugendliche beginnen am Karlsberg eine Rempelei. Die Polizei, die ebenfalls am alten Rathaus postiert ist, ist schnell zur Stelle, nimmt drei der Jungs mit. Bald darauf kommt ein weiterer Jugendlicher, ihm ist so schlecht, dass er nicht weiß, ob er sitzen oder liegen soll, nur stehen kann er nicht mehr. Dann wird ein Mädchen gebracht, sie ist ohnmächtig geworden: zu wenig gegessen, lautet die erste Diagnose. Ein Teenager, der sich als Bauarbeiter verkleidet hat, bekommt eine Schnittwunde verarztet - eine echte. Die seien häufig, sagen die Sanis, schließlich liege viel Glas herum.

Gegen 16 Uhr ist der Zug am Rathaus durchgezogen, auf dem Platz drängt sich eine Menschenmenge, fast nur junge Leute. Kaum einer ohne ein Bier in der Hand. Sie tanzen auf Scherben - von Bierflaschen, Prosecco- und Sekt- und jeder Menge Schnapsflaschen. Die Party in der Altstadt hat begonnen. Im Minutentakt versorgen die Sanis jetzt Betrunkene, die Liegen reichen nicht aus. Eigentlich sollte der Einsatz der Freiwilligen um 19 Uhr beendet sein. Doch bis halb zehn Uhr abends werden sie immer wieder gerufen. "Völlig ruhig" sei es gewesen, wird die Polizei über den Dachauer Fasching sagen. "Keine Schlägereien, nicht mal kleinere." Die Polizei beschützt die Öffentlichkeit. Das BRK rettet den Einzelnen - oft genug vor sich selbst.

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