Fan-Tag und Lange Tafel:Dachau in Feierlaune

Mehr als 10 000 Fans stürmen das Seriendorf Lansing. Tausende flanieren auf der autofreien Münchner Straße. Eindrücke von einem langen Spätsommersamstag

Von Benjamin Emonts, Dachau

Kamele reiten über die Münchner Straße. Und in einem berühmten, jedoch fiktiven Dorf namens Lansing, schälen Landfrauen Äpfel um die Wette und kämpfen Tausende um Autogramme. Im falschen Film? Nein. Das ist Dachau, wenn wie am vergangenen Samstag zwei Großereignisse aufeinanderprallen.

Bereits vormittags, am Bahnhof, kündigt sich der Trubel an. In den Shuttle-Bussen zum Drehgelände der Serie "Dahoam is Dahoam" ist kaum Luft zum Atmen. Der große Fan-Tag der Kultserie des Bayerischen Fernsehens, der dieses Mal als Lansinger Apfelmarkt firmiert, zieht Menschen aus ganz Bayern, ja sogar aus Österreich an. Kein Wunder: Die Serie ist in Bayern zu einem der beliebtesten Vorabendprogramme avanciert, von Montag bis Donnerstag schalten täglich eine Million Menschen den Fernseher ein. Bevor Lansing an diesem Samstag seine Türen öffnet, warten bereits Hunderte Menschen vor dem elektronisch verschließbaren Tor. Sie alle wollen ihre Serienstars hautnah erleben und einen Blick hinter die Kulissen der bayerischen Soap werfen. In den Geschichten aus dem Familien- und Dorfalltag finden sich viele der Menschen wieder. Es sind ältere Menschen, in Tracht oder Landhausmode, Kinder, junge Pärchen, aber auch der Mittzwanziger, tätowiert und stilsicher mit Sonnenbrille.

Gedreht wird die Serie seit 2007 auf dem 15 000 Quadratmeter großen Gelände eines ehemaligen Feinpappenwerks in der Schleißheimer Straße. Lansing, das vermutlich bekannteste Dorf in ganz Bayern, besteht überwiegend aus Pappe und Rigips. Der ortseigenen Kirche fehlt der Turm, will man sie begehen, läuft man nach einem Meter schon gegen eine Wand. Die Metzgerei, so verrät ein BR-Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand, ist lediglich ein verkleideter Container. Und dass die Tankstelle von Lansing nicht funktioniert, versteht sich von selbst. Ein paar Burschen und Mädels in Tracht, alle Mitte 20, tun so, als würden sie mit der Zapfpistole Bier in ihre Gläser füllen. "Wir schauen die Serie schon von Anfang an", sagt einer der Burschen, bis ihm seine Freundin ins Wort fällt: "Die ist einfach mega." Die Gruppe ist extra aus dem Allgäu nach Dachau gereist. "Die sind wie wir: nicht abgehoben und unkompliziert", schwärmen sie über die Serien-Charaktere.

Um die Ecke bildet sich eine zweireihige Schlange. Ein junger Mann, auf dessen T-Shirt "Lausbua" steht, interviewt die Menschen und fragt nach deren Dialekt, Größe und Stimmlage. Der 14-jährige Alexander Tartler lässt sich bereitwillig casten, er hofft, ein Komparse bei Dahoam is Dahoam zu werden. Dafür wird der Junge mit einer Filmklappe in der Hand fotografiert und sein Profil in eine Datenbank eingespeist. "Ich bin ein totaler Fan", sagt Alexander. "Ich schaue mir die Serie jeden Tag mit meiner Oma an." Die Schauspieler werden derweil von allen Seiten belagert. Fanny Lechner (Katrin Lux), die hübsche Köchin des Brunnerwirts, kommt mit dem Signieren ihrer Autogrammkarten kaum hinterher. Trotzdem macht die 35-Jährige den Eindruck, den engen Kontakt zu ihren Fans zu genießen. "Ihnen in die Augen zu blicken und sie glücklich machen zu können, ist einfach schön", sagt sie. Später wird sich Fanny noch mit dem Apfelstrudel-Rezept ihrer Oma mit Landfrauen aus ganz Bayern messen. In der jüngsten Folge von Dahoam is Dahoam, übrigens die Nummer 1577, bereitet sich Fanny auf den Wettbewerb vor. Brauereichef Hubert Kirchleitner erhält derweil Gewissheit, nicht an Darmkrebs zu leiden und ist ziemlich erleichtert. Auf dem Fan-Tag wird schließlich mit dem größten begehbaren Darmmodell Europas auf die Krankheit und Präventionsmöglichkeiten hingewiesen. Die Botschaft lautet: Dahoam is Dahoam leistet auch Aufklärungsarbeit.

Zwanzig Gehminuten später, man beginnt gerade, die Ruhe in Dachau zu genießen, kommen einem Kamele entgegen. Doch nicht nur sie. Wohin man auch blickt: Menschen. Sie flanieren zu Tausenden über die Münchner Straße, wo normalerweise der Stadtverkehr fließt. Über eine Länge von 600 Metern reiht sich ein Stand an den nächsten. Die lokalen Geschäftsleute aus der Münchner Straße, welche die "Lange Dachauer Tafel" nun bereits zum zehnten Mal ausrichten, nutzen die Gelegenheit, um sich zu präsentieren. Neben einer Bankfiliale sind unter Bäumen ein gemütlicher Biergarten und eine Bühne eingerichtet, auf welcher der Hot Club Dachau ein Jazz-Konzert gibt. Wenige Meter weiter am Infostand des Bayerischen Roten Kreuzes wird an einer Puppe die Herz-Lungen-Wiederbelebung geübt. Für die Vergesslichen: 30-mal drücken, zweimal beatmen. "Nur 35 Prozent der Deutschen trauen sich eine Wiederbelebung zu", sagt Michael Karlstetter vom BRK. "Aber der größte Fehler ist, nichts zu tun." Gegenüber der Suchtberatung der Caritas verkauft das Franziskuswerk Schönbrunn handgearbeitete Produkte von Menschen mit Behinderung. Die Verkaufsschlager sind Blechmonster, die aus Kronkorken und Konservendosen zusammengebaut wurden. Nicht weniger originell sind die kunstvoll drapierten Mäusefallen, in die man einen Geldschein klemmt und die somit als Gutschein dienen. Gut besucht ist auch der Stand des ASV Dachau, wo es gilt, einen Fußball mit aller Wucht in ein Tor zu befördern. Ein junger Mann kommt auf stattliche 86 Kilometer pro Stunde. Schließlich spielen bis in die Nacht Bands auf den Bühnen. Über Lansing hatte sich da längst die dörfliche Ruhe gelegt.

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