Expertengespräch:Eingriffe ins Paradies

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Die Wege entlang der Amper in Dachau sind ein beliebtes Erholungsgebiet. Weil die Uferdämme saniert werden müssen, werden im Herbst erneut Bäume gerodet. Bei einem Spaziergang informieren die Stadtwerke Anwohner und Naturschützer über die Hintergründe

Von Petra Schafflik, Dachau

Margeriten wiegen ihre Köpfe im Abendwind, daneben Pechnelken, Kornblumen, Klee. Eine Vielfalt an Gräsern begleitet die farbige Pracht, aus der hie und da knallrot eine Mohnblume heraussticht und am Wasserrand zarte Iris emporwachsen. Als Paradies einheimischer Kräuter und Wildblumen präsentiert sich jetzt das nördliche Ufer der Amper nahe der Brücke beim Familienbad.

Was auf den ersten Blick wie eine natürliche Krautwiese wirkt, wurde kürzlich gezielt ausgesät. Davor wucherten hier über Jahrzehnte Büsche und Bäume dicht an dicht, so wie es am gegenüberliegenden Ufer noch zu sehen ist. Die Gehölze auf der nun fast baumfreien Mitterndorfer Seite wurden gerodet, weil die Dachauer Stadtwerke die Uferdämme beidseits des Flusses sanieren müssen. Auch am südlichen Ufer, wo noch fast undurchdringliches Grün den Spazierweg schattenspendend begleitet, werden im Herbst viele Stämme fallen.

Erholungsgebiet mit grüner Vielfalt: die Amper mit ihren Uferdämmen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Warum ist dieser Kahlschlag nötig, wo wird gerodet und wie kommt der Naturschutz zu seinem Recht? Die Wege entlang der Amper sind ein beliebtes Erholungsgebiet für die Stadtbewohner, die Ruhe und Entspannung im Grünen suchen. Da ist es nicht verwunderlich, dass jeder Eingriff in diese Naturlandschaft, die sich lange ungestört entwickelt hat, mit großer Aufmerksamkeit von Experten verfolgt wird. Und deshalb der Kahlschlag, der im Herbst vor zwei Jahren die Sanierung der nördlichen Dammseite begleitete, Unmut hervorgerufen hat. Weil nun im Oktober mit dem zweiten Bauabschnitt weitere Rodungen anstehen, haben die Stadtwerke zu einem informativen Spaziergang eingeladen, zu dem Anwohner, Amperspaziergänger, Vertreter des Bund Naturschutz und Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) gekommen sind. Ihnen erläuterte der technische Geschäftsführer Gerald Nübel die rechtlichen wie technischen Bedingungen der Baumaßnahme. Wichtig ist ihm der Hinweis, dass die Stadtwerke die grundlegende Sanierung der Staudämme durchführen, um die Sicherheit für die Bürger zu gewährleisten. Denn der städtische Energieversorger, der in den beiden Kraftwerken an der Amper in Günding und Dachau Strom aus Wasserkraft erzeugt, ist für die Staudämme am Fluss verantwortlich. Und muss nun handeln, auch weil das zuständige Wasserwirtschaftsamt dies einfordert. "Auch Wasserkraft ist immer ein Eingriff in die Natur", sagt Nübel.

Die Amper ist ein Lebensraum für etliche Tiere. (Foto: Niels P. Joergensen)

Doch warum so umfangreiche Rodungen, wo Büsche und Bäume jahrzehntelang unberührt wachsen konnten, wollen die Anwesenden wissen. Die Antwort ist einfach: Weil nach den technischen Vorschriften auf Staudämmen keinerlei Gehölz erlaubt sei, so Roland Hoepffner vom Planungsbüro RMD Consult. Und weil die Aufsichtsbehörden jetzt auf Einhaltung der Normen drängen. Dabei haben die den Laien drakonisch anmutenden Regeln definitiv ihre Berechtigung, erläutert der Experte den skeptischen Bürgern. Denn sobald bei Sturm ein Baum umstürzt, reißt er seine Wurzeln mit. Rasch wird der Damm angegriffen, unterströmt oder bricht, das Wasser sucht sich seinen Weg in die angrenzenden Wohngebiete. Hochwasser muss der Fluss gar nicht führen, auch bei normalem Pegel werden bei Dammbruch rasch angrenzende Gebiete überflutet, die in weiten Bereichen unter dem Wasserspiegel liegen. Um so einem Szenario vorzubeugen, müssen die Stadtwerke handeln.

Als Paradies einheimischer Kräuter und Wildblumen präsentiert sich das nördliche Ufer der Amper. (Foto: Niels P. Joergensen)

Wenn es nur um die technische Sicherheit ginge, wäre die vollständige Rodung auf allen Uferdämmen die einfachste Lösung. "Doch wir möchten den radikalen Ansatz möglichst vermeiden", erklärt Nübel. Gemeinsam mit dem Planungsbüro und Experten der Unteren Naturschutzbehörde arbeiten die Stadtwerke an einer behutsamen Umsetzung. Für jeden Abschnitt des Flussufers wird eine separate Risikobewertung durchgeführt, um die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten. Das bestätigt den Bürgern auch Silvia Sobe von der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt, die froh ist über die enge Kooperation bei diesem sensiblen Projekt. Trotzdem wird der Kahlschlag nicht überall zu vermeiden sein, betont Planer Hoepffner. Dort, wo der Staudamm steil und hoch aufragt, der Fluss über Landniveau angestaut ist und direkt hinter dem Wall Menschen wohnen. Das betrifft am südlichen Ufer vor allem die stadtnahen Bereiche vom Familienbad bis zur Mitterndorfer Brücke und weiter ein Stück Richtung Günding.

Viele der Bäume werden weichen müssen, denn unter bestimmten Voraussetzungen sind Rodungen und Eingriffe in die Natur notwendig, um sie langfristig zu erhalten und schützen. Doch über jeden Stamm wird einzeln entschieden. (Foto: Niels P. Joergensen)

Dort stehen die Spaziergänger nun im milden Licht der Abendsonne und schauen mit Bedauern aufs dichte Grün am Ufer. "Das wird schlimm ausschauen, wenn das alles wegkommt", sagt ein Teilnehmer. Aber es könnten sich erneut für die Natur wertvolle Lebensräume ergeben. "Auf die richtige Pflege kommt es an", sagt Heinz Gibowsky vom Bund Naturschutz. Wichtig ist den Naturschützern, dass die Dammsanierung nicht in den Grundwasserstand eingreift. Im Umfeld des Uferwegs liegen schützenswerte Orchideenstandorte, die sensibel auf eine Veränderung reagieren würden. Unterhalb des Wegs entdeckt Silvia Sobe Segge und Mädesüß, wertvolle Zeigerpflanzen für Staunässe. Da gilt es nun Überlegungen anzustellen, wie die geplanten Drainagerohre am Dammfuß verlegt werden können, ohne bei den Bauarbeiten diese Pflanzen zu zerstören.

Bei einem Spaziergang entlang des Amperufers erklären Experten dem Oberbürgermeister Florian Hartmann, warum unter bestimmten Voraussetzungen Eingriffe in die Natur notwendig sind. (Foto: Niels P. Joergensen)

Mit viel Augenmaß werde die gesamte Maßnahme geplant, betont Naturschutzexpertin Sobe. Alle Bäume würden kartiert, für jeden Stamm einzeln über eine Fällung entschieden. Besonders geschützt seien Exemplare, in denen Höhlenbrüter wie Kleiber, Specht oder Fledermäuse nisten.

Weniger massive Eingriffe in die Natur wird es flussaufwärts Richtung Günding geben. Die Dämme in diesem Bereich sind flacher, das Land dahinter liegt fast auf Flussniveau. "Dort besteht das Risiko für Leib und Leben nicht", erklärt der Chef der Stadtwerke Nübel. Weitgehend erhalten bleibt der Bewuchs am Ufer auch im Bereich der Maisach-Mündung, wo nicht Wohngebiete sondern Auwald und Ackerflächen angrenzen. Und am Werkkanal in Günding stehen die Uferbäume auf Privatgrund, die Dammsicherung wird mit Spundwänden erfolgen, so die Experten.

Aber auch wo alle Bäume fallen müssen, wird sich die Natur erholen, wenn auch mit einer anderen Ausprägung als zuvor. Im ersten Abschnitt, der im vorigen Jahr noch kahl und öde dalag, wachsen nun statt Büschen und Bäumen auf kiesigen Uferstreifen Blumen und Gräser, bieten Insekten einen natürlichen Lebensraum. "Es kommt zu einer Artenverschiebung", erklärt Naturschutzexpertin Sobe. Begeistert sind die Bürger nicht gerade von der Aussicht auf noch mehr Rodungen. "Aber ich verstehe jetzt die Gründe besser", sagt eine Bürgerin, die oft an der Amper unterwegs ist. Ein Dachauer, der ebenfalls häufig hier spazieren geht, lobt die Aufklärung und will nun andere Spaziergänger "informieren und aufklären", wie er sagt. Mehr hätten die Stadtwerke gar nicht erreichen wollen mit ihrem Informationsangebot, sagt Werkleiter Nübel sichtlich zufrieden. "Wir können nicht erwarten, dass die Bürger auch mögen, was wir hier tun", sagt er.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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