Ein Besuch im Waldkindergarten:Lernen in der Natur

Der Kindergarten an der Vogelweide in Dachau verfolgt ein besonderes pädagogisches Konzept: Mädchen und Buben entwickeln Fantasie und Kreativität und gewinnen Selbstvertrauen im Umgang mit der Natur

Von Petra Schafflik, Dachau

Mit ruhiger Hand streicht Kilian das Heu glatt und zupft hier und da ein paar Halme zurecht. Geschützt von einem Dach aus Stecken und Moos wartet dieses gemütliche Nest jetzt darauf, dass "Falti" vielleicht im Frühjahr zurückkehrt. "Falti", so haben die Mädchen und Buben im Dachauer Waldkindergarten an der Vogelweide eine kleine Motte getauft. Im Herbst hatten sie das Insekt lange Zeit in ihrem Wald beobachtet. Die Motte wurde fast zu ihrem Maskottchen, doch irgendwann, die Enttäuschung war groß, flog das Tier davon und kam nie mehr wieder. Doch für den Fall, dass die Motte zurückkehrt, bereiten die Kinder jetzt für sie einen sicheren, warmen Unterschlupf vor.

Entscheidend ist die richtige Kleidung

Ein kleines Projekt, das eindrücklich zeigt, wie die Umgebung des Waldkindergartens die Fantasie der Kinder anregt und ihre Kreativität fördert. Das sieht man auch im Spiel, die Kinder brauchen keine normierten Spiele. Und das bei jedem Wetter. Ihren beheizten Bauwagen, der als Rückzugsort direkt am Eingang zum Kindergartengelände steht, sucht die Gruppe auch im Winter nur gelegentlich zur Brotzeit auf. Draußen ist es einfach schöner, finden die Kinder. "Entscheidend ist die richtige Kleidung", sagt Leiterin Nicole Kalbskopf, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Henrike Gross die Mädchen und Buben betreut. Das weiß auch Nina, die aufgeregt herangelaufen kommt und ihre mit schwarzem Matsch über und über verkleckerten Handschuh-Hände in die Höhe reckt. Sie lacht spitzbübisch und sagt: "Wasserdicht."

Wer im Sommer einen Waldkindergarten besucht, beneidet die Kinder sofort. Was gibt es Schöneres, als an einem warmen Tag stundenlang im Wald herumzustromern. Aber bei eisigem Wind, Schnee und Frost? Tatsächlich funktioniert das naturnahe Betreuungskonzept, das bewusst auf vorgefertigte Spielsachen und ein schützendes Gebäude verzichtet, ganz unabhängig von Saison und Wetter. Die Outdoor-Tagesstätte wird seit 2016 von der Arbeiterwohlfahrt als Träger in der Nähe des Erholungsgebiets Schinderkreppe in Dachau-Süd betrieben. Die pädagogischen Angebote folgen den Jahreszeiten, die im Freien und mitten in der Natur unmittelbar spürbar sind.

Ein Besuch im Waldkindergarten: Die Kinder im AWO-Waldkindergarten an der Vogelweide brauchen keine vorgefertigten Spiele. Die Natur bietet viel Material und Raum für Fantasie und Kreativität.

Die Kinder im AWO-Waldkindergarten an der Vogelweide brauchen keine vorgefertigten Spiele. Die Natur bietet viel Material und Raum für Fantasie und Kreativität.

(Foto: Toni Heigl)

Morgendlicher Sitzkreis auf Baumstümpfen

Kaum zu glauben: Aber auch als das Thermometer im Januar zweistellige Minusgrade zeigte, verbrachte die Gruppe den Vormittag im Freien, berichtet Nicole Kalbskopf. "Schließlich gab es viel zu beobachten." Zum Beispiel, wie der nahe Stadtweiher langsam zufriert, wie sich Pfützen in Eisplatten verwandeln und sich im Schnee Tierspuren klar abzeichnen, die die Kinder gut lesen können und Gesprächsstoff bieten, welches Tier durch die Schneelandschaft gelaufen sein mag.

Auch an diesem diesigen Wintertag im Februar mit Temperaturen um den Gefrierpunkt versammeln sich Kinder und Pädagogen um neun Uhr früh auf niedrigen Baumstümpfen zum morgendlichen Sitzkreis. Nach einem fröhlichen Lied wird über Wetter und Jahreszeit gesprochen, bevor die Kinder Pläne für den Tag schmieden. Schnell wird klar, dass alle rund ums Haus werkeln, dafür auf einen längeren Spaziergang verzichten wollen. Dann geht es erst einmal zur Brotzeit in den Bauwagen, bei heißem Tee aus der Thermoskanne planen die Kinder das Faschingsfest. Ihr rosa Tüllröckchen wird wohl nicht über die Thermohose passen, überlegt Nina. "Also komme ich vielleicht als Pirat." Bald heißt es wieder rein in Jacken, Mützen, Schals, Handschuhe und hinaus ins Gelände. Dort wirft dann ein Trupp Waldarbeiter zunächst die Spielpläne über den Haufen.

Direkt gegenüber dem Kindergarten werden einige Bäume gefällt, dieses Arbeiten gilt es doch aus sicherer Entfernung zu beobachten. Wie es knirscht und kracht, wenn so ein Baum fällt, das erlebt man schließlich nicht alle Tage. Zurück im Kindergartenareal gehen die Kleinen an ihre Vorhaben. Der Unterschlupf für "Falti" wird mit Moos verschönert, aus Matsch und Steinen ein Eintopf gekocht. Die Mädchen und Buben klettern auf Bäume oder spielen Verstecken. Die kleine Emma verstreicht dünnflüssigen Baaz auf den Stämmen. Langsam taucht sie ihren Stecken immer wieder in den Eimer, verteilt gleichmäßig und einfühlsam die "Heilcreme" auf der Rinde soweit ihre Arme den Stamm hinaufreichen. Die Aktion hat einen wohl überlegten Grund: "Damit die Bäume nicht frieren", sagt das Mädchen. Auch das lernen die Kinder: die Natur mit Respekt zu behandeln.

Ein Besuch im Waldkindergarten: Einsam im Wald? Mitnichten, die Mädchen und Buben lieben die naturnahe Umgebung ihres Kindergartens.

Einsam im Wald? Mitnichten, die Mädchen und Buben lieben die naturnahe Umgebung ihres Kindergartens.

(Foto: Toni Heigl)

Im Waldkindergarten bietet die Natur für die Kinder enorm viel Raum, aber auch Stille und Zeit, so dass die Kinder vielfältige Erfahrungen machen, Vertrauen und Mut in eigene Fähigkeiten entwickeln und persönliche Grenzen erleben können. Weil fertiges Spielzeug fehlt, sind die Mädchen und Buben kreativ, basteln sie es sich selbst, schaffen sich Spielsituationen, handeln Rollen aus, verteilen Aufgaben und finden Lösungen. "Es ist zum Beispiel unglaublich, was ein Stock alles sein kann", sagt die Pädagogin Kalbskopf. Und weil eben nicht sofort klar ist, ob der dürre Stecken heute ein Malerpinsel ist, ein Ritterschwert, Auto, Hund oder Freund, muss viel gesprochen, ausgehandelt und erklärt werden. Da läuft die Spracherziehung ganz nebenbei. "Die Kinder lernen viel, nur anders", betont Henrike Gross. Das würden auch Erwachsene, wenn sie ihnen zusehen würden.

Wer sich für den Waldkindergarten an der Vogelweide interessiert, ist zu einem Tag der offenen Tür am Donnerstag, 23. März, von 14 bis 16 Uhr eingeladen. Anmeldung für einen Platz erfolgt am Dienstag, 28. März, von 8 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr in der Einrichtung (Parkplatz an der Schinderkreppe in Dachau-Süd).

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